Anklageprüfung begründet keine Vorbefassung

Das Bundesgericht klärt eine weitere Frage zum neuen Strafprozessrecht und entscheidet, dass die Anklageprüfung (Art. 329 StPO) keinen Ablehnungsgrund schafft (BGer 1B_703/2011 vom 03.02.2012) anders noch: BGE 114 Ia 50 nach altem Recht mit Anklagezulassung).

Mit der Prüfung der Anklage gemäss Art. 329 Abs. 1 StPO verifiziert die Verfahrensleitung (des erstinstanzlich zuständigen Gerichts), ob die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäss erstellt sind (lit. a), ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind (lit. b) und ob Verfahrenshindernisse bestehen (lit. c).

Diese Prüfung durch die Verfahrensleitung erfolgt nicht in einem formalisierten Verfahren, das mit einem Zulassungs- oder Nichtzulassungsentscheid endet. Die Verfahrensleitung entscheidet diesbezüglich nichts. Hinsichtlich des Tatverdachts hat sie bloss summarisch zu prüfen, ob dem Beschuldigten überhaupt ein strafbares Verhalten vorgeworfen wird und sich die Durchführung eines Verfahrens rechtfertigt (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1278 Ziff. 2.7.1). Stellt die Verfahrensleitung Mängel oder Prozesshindernisse fest, kann sie nur dem Gericht die geeigneten Vorkehren beantragen (Rückweisung der Anklage an die Staatsanwaltschaft zur Ergänzung oder Berichtigung [Art. 329 Abs. 2 Satz 2 StPO]; Sistierung [Abs. 2 Satz 1]; Einstellung des Verfahrens [Abs. 4 und 5]). Sie hat aber darüber selber keinen Entscheid zu fällen; dies obliegt dem Gericht. Im Übrigen trifft sie die zur Durchführung der Hauptverhandlung notwendigen verfahrensleitenden Anordnungen (Art. 330-332 StPO). Derartige Vorbereitungshandlungen und Instruktionsmassnahmen sind in jedem Gerichtsverfahren erforderlich und lassen den verfahrensleitenden bzw. instruierenden Richter nicht als befangen oder vorbefasst erscheinen. Eine andere Sichtweise würde das Vorantreiben des Verfahrens und die Beurteilung innert nützlicher Frist und mit vertretbarem Aufwand erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen und wäre auch unpraktikabel. Die in Art. 329 Abs. 1 StPO umschriebene Prüfung durch die Verfahrensleitung geht nicht über die in jedem (Straf-)Gerichtsverfahren unumgänglichen ersten Vorkehrungen hinaus und begründet keine Ausstandspflicht (vgl. auch Niklaus Schmid, Praxiskommentar StPO, 2009, N. 8 zu Art. 56 StPO; Markus Boog, a.a.O., N. 31 zu Art. 56 StPO; ferner – zum bisherigen Strafprozessrecht des Kantons St. Gallen – Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2005, S. 85 N. 184). Die abweichende Lehrmeinung von Yvona Griesser (in: Zürcher Kommentar StPO, 2010, N. 12 zu Art. 329 StPO) übersieht, dass das separate Zwischenverfahren über die Anklagezulassung weggefallen ist und die Verfahrensleitung im Rahmen von Art. 329 StPO keinen entsprechenden Entscheid fällt. Mit der Erfüllung der in dieser Bestimmung umschriebenen Obliegenheiten allein legt sich die Verfahrensleitung nicht in einem Mass fest, dass sie nicht mehr als unvoreingenommen gelten könnte und das Verfahren nicht mehr als offen erschiene. Das gilt auch für die Abweisung von Beweisanträgen der Verteidigung, zumal abgelehnte Beweisanträge an der Hauptverhandlung erneut gestellt werden können (Art. 331 Abs. 3 StPO). Weitere Umstände, die den im vorliegenden Fall verfahrensleitenden Kreisrichter als befangen erscheinen lassen könnten, hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Eine Verletzung der konventions- und verfassungsmässigen Garantien ist daher nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet (E. 2.6).

Erneut stelle ich fest, dass die Praktikabilität über allem steht. Mit der von Griesser vertretenen und vom Bundesgericht verworfenen Auffassung, die sich immerhin auf etliche Lehrmeinungen stützt, setzt sich das Bundesgericht materiell gar nicht auseinander. Dass Vorbereitungshandlungen und Instruktionsmassnahmen notwendig sind, heisst m.E. noch lange nicht, dass solche keine Vorbefassung begründen können. Vielleicht ist das der Grund, warum der Entscheid über diese doch wichtige Frage nicht in der AS publiziert wird.