Bald vier Jahre in U-Haft?

Das Bundesgericht hat heute lediglich zwei neue Urteile im Internet publiziert. Beide betreffen die Haftverfahren der Gebrüder Tinner, deren Beschwerden jeweils in Fünferbesetzung abgewiesen werden (BGer 1B_175/2008 vom 05.08.2008 und BGer 1B_155/2008 vom 05.08.2008).

Das Bundesgericht setzt sich eingehend mit den Argumenten der Beschwerdeführer auseinander, begegnet aber den geltend gemachten Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der erfolgten Aktenvernichtungsaktion des Bundesrats mit einer teilweise eher formalistisch anmutenden Begründung:

Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, die erfolgte Aktenvernichtung könne im weiteren Verlauf des Strafverfahrens zur Verletzung von diversen Verteidigungsrechten führen (insbes. Grundsatz des “fair trial”, Anspruch auf rechtliches Gehör, Akteneinsicht und Konfrontation mit Belastungszeugen usw.). Er legt jedoch nicht dar, inwiefern sich daraus ein verfassungsmässiger Anspruch auf sofortige Haftentlassung (im Sinne von Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV) ergäbe. Soweit sich die Beschwerde nicht mit dem Streitgegenstand des angefochtenen Entscheides befasst, kann darauf nicht eingetreten werden (Art. 79 BGG, vgl. E. 1). Dem Standpunkt, infolge der partiellen Aktenvernichtung erscheine eine allfällige Anklageerhebung bzw. ein faires Strafverfahren bereits zum vornherein völlig ausgeschlossen, kann nicht gefolgt werden (E. 2.8 aus dem oben erstzitierten Urteil; Hervorhebungen durch mich).

Auch das Beschleunigungsgebot sieht das Bundesgericht als nicht verletzt:

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, seit dem erwähnten Bundesgerichtsurteil vom 9. Oktober 2007 seien keine relevanten Untersuchungsschritte mehr erfolgt, findet in den Akten keine Stütze. Er legt (an andere Stelle) selber dar, dass das Eidg. URA am 7. März 2008 die Voruntersuchung eröffnet hat; weitere prozessuale Vorkehren (Korrespondenz mit den Rechtsvertretern, Verhandlungen und Schriftverkehr mit beteiligten Behörden, Vorkehren zur Erhebung und Systematisierung der Akten usw.) ergeben sich aus dem Dossier. Die vom Bundesrat angeordnete Aktenvernichtung (vgl. dazu oben, E. 2.4-2.5) ist nicht den Strafverfolgungsbehörden als prozessuales Versäumnis im Sinne der dargelegten Rechtsprechung anzulasten. Wie sich aus dem Dossier ergibt, handelt es sich hier um ein sehr komplexes und aufwändiges Strafverfahren mit zahlreichen Untersuchungsmassnahmen, Rechtshilfeersuchen in 16 verschiedenen Ländern sowie umfangreichen Akten (E. 4.6).

Am Ende seiner Begründung fügt das Bundesgericht dann noch eine Erwägung an, welche erkennen lässt, dass die Beschwerden nicht ganz aussichtslos waren:

Bei Würdigung sämtlicher Umstände erscheint die bisherige Haftdauer noch verfassungskonform. Die Strafverfolgungsbehörden werden allerdings im Verlauf der nächsten Monate zu prüfen haben, ob entweder eine speditive Anklageerhebung möglich erscheint oder sich eine Haftentlassung aufdrängt (E. 4.7).

Insgesamt dauert die Untersuchungshaft in Deutschland und der Schweiz nun schon fast vier Jahre, was mir unabhängig von einer möglichen Verurteilung als absolut unhaltbar erscheint.

Vgl. zu den Urteilen auch die Berichterstattung der NZZ (sda.).