Provisorisch sichergestellt oder definitiv beschlagnahmt?

Das Bundesgericht schreibt anlässlich der Beschwerde einer Staatsanwaltschaft ein Kurzlehrbuch über das Verhältnis von vorsorglicher Sicherstellung, Siegelung, Durchsuchung und förmlicher Beschlagnahme (BGer 1B_65/2014 vom 22.08.2014).

Das Bundesgericht hält insbesondere fest, dass bis zur Entsiegelung keine “förmliche” Beschlagnahme vorliegen kann.

Die anlässlich der Hausdurchsuchung versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände wurden vorläufig sichergestellt (Art. 263 Abs. 3 i.V.m. Art. 248 Abs. 1 StPO) und können erst aufgrund des rechtskräftigen Entsiegelungsentscheides inhaltlich durchsucht (Art. 246 StPO) und förmlich beschlagnahmt werden (Art. 248 Abs. 1 StPO). In dem von der Staatsanwaltschaft (nach der Sichtung der entsiegelten Unterlagen) allenfalls zu erlassenden Beschlagnahmebefehl wird darzulegen und kurz zu begründen sein, welche Unterlagen unter welchem Titel (insbesondere als Beweismittel, Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) zu beschlagnahmen und welche herauszugeben sein werden (Art. 263 Abs. 2 StPO). Zwischen dem Hausdurchsuchungsbefehl (Art. 241 Abs. 1-2 i.V.m. Art. 245 Abs. 1 StPO) und dem Beschlagnahmebefehl (Art. 263 Abs. 2 StPO) ist dabei begrifflich und inhaltlich zu unterscheiden. Bis zur Entsiegelung kann schon deshalb keine förmliche “Beschlagnahme” (im Sinne von Art. 263 Abs. 1-2 StPO) vorliegen, weil die Staatsanwaltschaft (mangels Einsicht in die Aufzeichnungen bzw. inhaltlicher Durchsuchung) noch gar nicht beurteilen kann, welche Beschlagnahmeart (Art. 263 Abs. 1 lit. a-d StPO) verfügt werden könnte und ob Beschlagnahmehindernisse (Art. 264 und Art. 268 StPO) vorliegen. Vor dem Entscheid über die Zulässigkeit der Durchsuchung kann lediglich eine vorläufige Sicherstellung (Art. 263 Abs. 3 StPO) erfolgen. Bei “Gefahr im Verzug” können zwar (auch) Polizei und Private vorläufige Sicherstellungen vornehmen. Dies schliesst jedoch keineswegs aus, provisorische Beschlagnahmungen anlässlich von Hausdurchsuchungen unter Art. 263 Abs. 3 StPO zu subsumieren. Dies umso weniger, als die Staatsanwaltschaft sich dabei regelmässig von Polizeiorganen unterstützen lässt oder den Vollzug der Hausdurchsuchung sogar vollständig an die Kantonspolizei delegiert (vgl. Art. 15 Abs. 1 und Art. 312 Abs. 1 StPO). In jedem Fall läge hier eine provisorische Sicherstellung im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO (“weder eingesehen noch verwendet werden”) vor (E. 2.4).

Die Praxis wird mit dem Entscheid leben können und müssen. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob das alles so zwingend ist und ob der Entscheid nicht neue Fragen aufwirft, die vermeidbar gewesen wären. Man wird es sehen.