Schweiz c. EGMR?
Der EGMR (Deuxième Section) verurteilt die Schweiz wegen formeller und materieller Verletzung des Folterverbots nach Art. 3 EMRK. Es geht um polizeiliche Übergriffe gegen einen Burkiner im Jahr 2005 (EGMR 74010/11 vom 24.09.2013, Dembele c. Suisse). Der Entscheid enthält nach einer durchaus nachvollziehbaren rechtlichen Analyse eine fast schon patriotisch anmutende Dissenting Opinion der von der Schweiz entsandten Richterin:
Je regrette que la Cour ait conclu en l’espèce, pour la première fois à l’égard de la Confédération helvétique, à une violation de l’article 3. Cette conclusion est d’autant plus regrettable que la Cour a retenu une double violation de cet article, dans une affaire aussi problématique quant à l’établissement des faits que difficile d’un point de vue doctrinal.
Es scheint als wäre es dem Bundesgericht gelungen, seine Kritik am EGMR intern zu platzieren. Was mich irritiert ist, dass die von der Schweiz entsandte Richterin einen Dissent formuliert und am Schluss noch auf die sonst so reine Weste der Schweiz hinweist. Ob das üblich ist, kann ich aufgrund meiner ungenügenden Kenntnisse der Strassburger Praxis nicht beurteilen. Es erscheint mir aber als problematisch, weil es den Anschein verstärkt, es werde nach politischen statt nach juristischen Gründen entschieden. Und das ist doch genau das, was das Bundesgericht letztlich an Strassburg kritisiert.
Der Dissent von Frau Helen Keller hat mich äusserst peinlich berührt. Man hört über weite Strecken „omg wie kann man nur die Schweiz wegen Folter verurteilen und dies erst noch in einem so unsicheren Fall?“.
Dabei schleckt es keine Geiss weg, dass die Untersuchung gegen die Polizisten verschlampt wurde, was der EMGR deutlich kritisiert. Das passt dem Bundesgericht natürlich nicht, weil das Beschleunigungsgebot dort ja überhaupt nicht mehr ernsthaft berücksichtigt wird.
Dass die Fakten so lange hinten drein nicht mehr besser festgestellt werden können, kann man nicht dem Kläger vorwerfen, es geht auf das Konto der Genfer Behörden, ebenso dass nicht unverzüglich ein ergänzendes medizinisches Gutachten eingeholt worden ist.
Wenn man überlegt, wie viel Zeit und Geld dieser Fall nun kostet, muss man sich gut überlegen, ob es nicht zweckmässiger wäre wenn die Polizei in einem solchen Fall den zu Kontrollierenden die brennende Zigarette fertig rauchen lässt. Wenn sie nämlich an ihn herantritt mit der Aufforderung, sofort die Zigarette wegzuschmeissen und sich auf den Boden zu setzen, so kann ich durchaus nachvollziehen, dass auch wackere Eidgenossen renitent würden!
Der Kläger hatte ja offenbar gültige Papiere, hatte keine Drogen auf sich, und bevor nicht irgend etwas Besonderes festgestellt wurde, hat sich die Polizei trotz vieler schlechter Erfahrungen auch andersfarbigen gegenüber freundlich und korrekt zu verhalten.
Dieser Kasus erinnert mich ganz deutlich an die Situation, dass die Schweiz mehrfach wegen unfairem Verfahren verurteilt wurde, bis sich hiesige Gepflogenheiten welche den einfachen Bürger zu Lasten der Behörden benachteiligten, entsprechend änderten.
„Jedes Urteil welches die Schweiz verurteilt ist eines zuviel“. Die hohen Herren im Bundesgericht sollten dies in ihrer täglichen Arbeit immer vor der Znünipause laut deklamieren müssen, das wäre für die Qualität ihrer Rechtsprechung zweifellos nützlich.