Umstrittene Praxis zur verdeckten Ermittlung bestätigt
Das Bundesgericht bekräftigt seine Praxis zur verdeckten Ermittlung in zwei neuen Fällen, die es in Fünferbesetzung entschieden hat (BGer 6B_743/2009 und BGer 6B_837/2009, beide vom 08.03.2010). Es weist die in der Lehre geäusserte Kritik an BGE 134 IV 266 als unbegründet zurück (die Zitate stammen aus dem erstgenannten Entscheid des Bundesgerichts):
Dem BVE lässt sich keine hinreichend klare Grundlage für die Auffassung entnehmen, dass eine verdeckte Ermittlung im Sinne dieses Gesetzes nur bei einer (wie auch immer zu definierenden) gewissen Täuschungs- und/oder Eingriffsintensität beziehungsweise Dauer des Einsatzes angenommen werden kann. Diese Kriterien sind im Übrigen zu vage und daher für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Gesetzes ungeeignet. Das BVE enthält – wie übrigens die künftige schweizerische Strafprozessordnung – keine hinreichend klare Grundlage für die Auffassung, dass nur eine “qualifizierte” verdeckte Ermittlung unter den Anwendungsbereich des Gesetzes falle und eine “einfache” verdeckte Ermittlungstätigkeit vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen sei (ebenso MARK PIETH, a.a.O., S. 134) (E. 3.1).
Als Zwischenergebnis hält das Bundesgericht fest …
Im Lichte der Rechtsprechung können auch einfache, isolierte Scheingeschäfte zwischen nicht als solchen erkennbaren Polizeiangehörigen und Zielpersonen im Allgemeinen und sog. Betäubungsmittelscheinkäufe im Besonderen verdeckte Ermittlungen im Sinne des BVE sein (E. 3.2).
… und lässt damit einen engen Bereich für die Nichtanwendbarkeit des BVE offen. Massgebendes Kriterium bleibt das Anknüpfen von Kontakten:
Dieses Kriterium enthält das Element eines aktiven, zielgerichteten Verhaltens. Es ist nicht ohne weiteres gegeben, wenn ein nicht als solcher erkennbarer Polizeiangehöriger beispielsweise im Rahmen einer Observation von der Zielperson angesprochen wird, sich auf ein kurzes Gespräch einlässt und dabei zu erkennen gibt, dass er an der gesprächsweise angebotenen Leistung nicht interessiert ist. Darauf wies das Bundesgericht im Urteil 6B_568/2009 vom 8. Oktober 2009 hin, worin allerdings zufolge Nichtanwendbarkeit des BVE aus anderen Gründen offengelassen werden konnte, ob das Verhalten des Polizeiangehörigen, der in einer Bar als scheinbarer Kunde ermitteln sollte, ob darin ausländische Frauen der Prostitution nachgingen, als verdeckte Ermittlung im Sinne des BVE zu qualifizieren wäre (E. 3.3).
Das Bundesgericht lässt im Übrigen offen, ob im vorliegenden Fall eine verdeckte Ermittlung nach StPO/CH hätte angeordnet werden dürfen:
Nach der künftigen schweizerischen Strafprozessordnung kann eine verdeckte Ermittlung nur noch angeordnet werden, wenn der Verdacht besteht, dass eine Katalogtat begangen worden ist (Art. 286 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO). Es ist fraglich, ob ein Betäubungsmittelscheinkauf der vorliegenden Art überhaupt bestimmt und geeignet ist, zur Aufklärung einer bereits begangenen Straftat beizutragen. Vielmehr scheint es in erster Linie darum zu gehen, die Zielperson eines konkreten Delikts zu überführen, welches die Zielperson noch gar nicht verübt hat, sondern, veranlasst durch das Verhalten des nicht als solchen erkennbaren Polizeiangehörigen, erst noch begehen wird (siehe dazu auch MARK PIETH, a.a.O., S. 133). Wie ein solches Verhalten nach dem Inkrafttreten der schweizerischen Strafprozessordnung zu beurteilen sein wird, ist hier nicht zu prüfen (E. 3.5).
Scheinkäufe durch Polizisten dürften somit auch nach neuem Recht einen schweren Stand haben.