Unzulässige Legitimationshürde
Das Bundesgericht kassiert ein Urteil, mit dem die Vorinstanz auf die Beschwerde einer Privatklägerin nicht eingetreten ist, welche sich gegen die Aufhebung einer Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft wehren wollte. Es schiebt damit der Praxis des Obergerichts des Kantons Aargau einen (weiteren) Riegel, welches sich nach der selbstauferlegten bundesrechtswidrigen Kognitionsbeschränkung auch durch bundesrechtswidrig hohe Legitimationshürden Arbeit ersparen wollte.
Das Bundesgericht stellt klar, dass das erforderliche rechtlich geschützte Interesse gemäss StPO jedenfalls nicht enger auszulegen ist als dasjenige gemäss BGG (BGer 1B_6/2015 vom 24.02.2015):
Wie Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG für die Ergreifung der Beschwerde in Strafsachen setzt auch Art. 382 Abs. 1 StPO für die Ergreifung der Beschwerde im kantonalen Verfahren ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids voraus. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es erlauben würde, im gleichen Rechtsmittelzug die in diesem Punkt gleich geregelten Legitimationsvoraussetzungen von StPO und BGG unterschiedlich auszulegen. Vor allem aber geht es bei dieser gesetzlichen Regelung nicht an, im kantonalen Verfahren die Legitimationsvoraussetzungen einschränkender auszulegen als im Verfahren vor Bundesgericht. Da nach Art. 80 Abs. 1 BGG nur Entscheide letzter kantonaler Instanzen anfechtbar sind, würde einer Partei, die nach Art. 81 BGG beschwerdebefugt ist, der Rechtsmittelweg ans Bundesgericht abgeschnitten, wenn ihr die letzte kantonale Instanz aufgrund einer unsachgemäss restriktiven Auslegung von Art. 382 Abs. 1 StPO die Beschwerdebefugnis im kantonalen Verfahren abspricht. Das Obergericht hat damit Bundesrecht verletzt, indem es der Beschwerdeführerin, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Anfechtung des Obergerichtsentscheids hat (oben E. 1.2), die Legitimation nach Art. 382 Abs. 1 StPO abgesprochen hat. Die Rüge ist begründet.
Dass das Bundesgericht auf diese Beschwerde eingetreten ist, erscheint mir zumindest erwähnenswert. Sie richtete sich m.E. gegen einen Zwischenentscheid, der aber gemäss Bundesgericht ein Endentscheid war:
Der angefochtene Entscheid erging in einer Strafsache und wurde von einer letztinstanzlichen kantonalen Instanz getroffen; damit steht die Beschwerde in Strafsachen dagegen offen (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, BGG). Er spricht der Beschwerdeführerin die Legitimation ab, die Aufhebung einer Beschlagnahmeverfügung anzufechten. Dadurch wird diese teilweise vom Strafverfahren ausgeschlossen; insofern und insoweit liegt für sie ein Endentscheid im Sinn von Art. 90 BGG vor (zur Publikation bestimmtes Urteil 6B_236/2014 vom 1. September 2014 E. 1.2) [E. 1.1].
Den Hinweis auf den zur Publikation bestimmten Entscheid ist m.E. gewagt. Dort ging es um eine zurückgewiesene Berufung der Privatkläger, hier um eine Beschwerde gegen die Aufhebung einer Beschlagnahme.
Schon wieder Aargau!
Der Entscheid scheint mir sehr fragwürdig. Natürlich mag die Privatklägerschaft ein generelles Interesse an der Aufrechterhaltung irgendwelcher Beschlagnahmen haben. Sie hat ja grundsätzlich überhaupt ein Interesse an allem, was Druck auf den Beschuldigten ausübt.
Ich würde aber sehr in Frage stellen, dass Beschlagnahmen oder deren Aufhebung eine Auswirkung auf die “Beurteilung ihrer Zivilansprüche” haben. Eine Beschlagnahme oder deren Aufhebung wirkt sich ausschliesslich – und sehr mittelbar – auf das allfällige, maximal denkbare Deckungssubstrat dieser Forderung aus, aber in keiner Weise auf die ‘Beurteilung’. Dass diese Differenzierung vom Bundesgerich nicht erkannt wird (oder nich anerkannt, was noch schlimmer wäre), finde ich erstaunlich, sie ist nämlich konzeptionell Ausdruck dessen, dass Adhäsionsklagen zwar eine Prozesserleichterung für die materielle Beurteilung erhalten, nicht aber ein Vollstreckungsprivileg. – Dass das BGG von “Beurteilung” der Zivilforderung und nicht von “Durchsetzung” oder einem generellen Erfordernis eines Zusammenhangs spricht, ist also keineswegs Zufall.
Daneben ist die Privatklägerschaft aber (jedenfalls dann, wenn es sich nicht um direkt – ausserhalb der Einziehung! – zu Gunsten des Geschädigten zu verwendende Vermögenswerte nach Art. 70 Abs. 1 StGB letzter Teilsatz handelt) lediglich sehr mittel durch die Aufhebung einer Beschlagnahme tangiert:
Zuerst muss es überhaupt zu einer Verurteilung kommen, zweitens muss es im Rahmen dieser Verurteilung zur Ausfällung einer Ersatzforderung kommen, drittens muss dann der Vermögenswert unter diesem Ersatzforderungstitel eingezogen werden und viertens dann nach Art. 73 StGB dem betreffenden Geschädigten zugesprochen werden. Wenn das noch unter ‘auswirken’ nach BGG fällt…?
Abgesehen davon mutet es doch etwas absurd an, wenn nicht nur die Anordnung, sondern auch die Aufhebung von Zwangsmassnahmen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden kann. Wie wäre denn zu verfahren, wenn nun das Gericht zum Schluss kommen sollte, dass die Beschlagnahme nicht aufzuheben wäre? Bliebe die Beschlagnahme dann bestehen, obwohl die verfügende Behörde der Meinung ist, dass die rechtlichen Grundlagen dafür nicht gegeben sind? Wer ‘führt’ dann überhaupt noch das Strafverfahren? Offensichtlich ja nicht der Staatsanwalt. Ist das, was er tut, dann überhaupt noch ‘legal’? Gerichtlich abgesegnet, ja, aber rechtens? Wohl kaum.
Die Privatklägerschaft hat meines Erachtens zwar ein Antragsrecht auf Zwangsmassnahmen, bei deren Verweigerung oder Aufhebung hat sie aber grundsätzlich keine Rechtsmittellegitimation. In sehr krassen Fällen wird sie es nachträglich mit Staatshaftung versuchen können, in allen anderen Fällen ist sie an die zivil- und vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe, namentlich den Arrest, verwiesen. Völlig aus der Pflicht genommen ist die Privatklägerschaft eben nicht.
Ausgenommen wären m.E. eben Fälle, wo es um ‘unmittelbares’ Deliktsgut geht. Dann geht der Zivilanspruch nämlich sinnvollerweise auf direkte Herausgabe des deliktisch erlangten, und dann wirkt sich die Aufhebung einer Beschlagnahme auch direkt auf die Beurteilung dieser Forderung aus, weil die direkte Herausgabe danach nicht mehr möglich oder erheblich erschwert/gefährdet ist.
@daz:
Zwei kleine Anmerkungen:
1. Wenn ich richtig gelesen habe, hat die Privatklägerin im vorliegenden Fall gerade die die Verwendung der beschlagnahmten Vermögenswerte zu ihren Gunsten verlangt, gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB (vgl. E.1.2.). Verstehe ich Sie richtig, dass Sie also in diesem konkreten Fall die Beschwerdelegitimation der Privatklägerin bejahen würden?
2. Dass ein Gericht die Aufhebung von Zwangsmassnahmen verweigert finde ich nicht wirklich problematisch. Es gehört einfach zum Rechtstaat, dass ein Gericht der Allmacht des Staatsanwalts Grenzen setzt und dann darf es ruhig auch gewisse Vorgaben in grundsätzlichen Fragen machen. Das Argument, dass der Staatsanwalt dann das Verfahren nicht mehr wirklich selber führt kann ich nicht teilen. Das Gericht kann ja schliesslich auch eine Verfahrenseinstellung oder eine Nichtanhandnahme aufheben, da ist der Eingriff in die Verfahrensführung viel einschneidender.
1. Das schien mir eher ein pauschaler Verweis auf den Artikel, der ja grundsätzlich die Einziehung regelt. Legitimiert wäre meines Erachtens nur der Geschädigte, der die direkte Aushändigung verlangen kann (“sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden”). Nur dann verliert er einen direkten Anspruch bei Aufhebung der Beschlagnahme. In jeder anderen Konstellation ist es bestenfalls eine indirekte und potenzielle Betroffenheit.
2. Sie setzen niemandem Grenzen, wenn Sie ihn zwingen etwas zu tun, für das er glaubt, keine rechtliche Grundlage zu haben. Aber die Anfechtung der Einstellungsverfügung ist immerhin ein gutes Gegenargument. Aber die Konsequenz Ihrer Überlegungen wäre ja, dass etwa der Anzeigeerstatter jede Nichtbefolgung seiner Handlungsanweisungen gerichtlich anfechten könnte. Diese Vorstellung scheint mir doch etwas absurd. Aber die rechtliche Antwort darauf dürfte eben über die Legitimation gehen.