Update: Hooliganverordnung teils verfassungswidrig

Der in meinem letzten Beitrag erwähnte Bundesgerichtsentscheid ist nun auch vom Bundesgericht selbst ins Internet gestellt worden (BGer 1C_158/2007 vom 31.03.2008, BGE-Publikation vorgesehen). Beschwerde geführt haben der “Verein Referendum BWIS” und dessen Vertreter. Während die Beschwerdelegitimation des Vereins offen blieb, trat das Bundesgericht auf die Beschwerde des Vertreters ein, obwohl es sich bei ihm um einen Basler handelt:

Ungeachtet dieses Umstandes ist es denkbar, dass dieser als Zuschauer von Sportveranstaltungen nach Zürich reist und die Einführungsverordnung dabei auf ihn angewendet wird, sei es im Rahmen von Fussball-Meisterschaftsspielen, sei es anlässlich der EURO 08. Insoweit ist er durch die angefochtene Verordnung gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG zumindest virtuell betroffen und hat demnach im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG ein Interesse an der Aufhebung der Einführungsverordnung (E. 1.2).

Die Rüge, Art. 49 BV (Vorrang des Bundesrechts) sei verletzt, weist das Bundesgericht ab. Hingegen teilt es die Auffassung des Beschwerdeführers, dass der in der Verordnung vorgesehene Rechtsschutz gegen den Anspruch auf ein durch ein Gesetz geschaffenes Gericht nach Art. 30 Abs. 1 BV verstosse und mit Art. 73 Abs. 1 der Zürcher Kantonsverfassung (KV/ZH) im Widerspruch stehe, wonach die Gerichte Streitigkeiten entscheiden, die ihnen das Gesetz zuweist:

Art. 30 Abs. 1 BV garantiert den Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Zur Verhinderung von Missbrauch und Manipulation bzw. zum Ausschluss jeglichen entsprechenden Anscheins oder Verdachts sollen Gerichte und ihre Zuständigkeiten (in persönlicher, zeitlicher, örtlicher und sachlicher Hinsicht) durch generell-abstraktes Verfahrensrecht im Voraus bestimmt sein (…). Nach dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung muss sich die Gerichtsorganisation auf ein formelles Gesetz stützen; untergeordnete Fragen können der Exekutive zur Regelung delegiert werden (…).

Auch vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsrechts ist für die Regelung der grundlegenden Gerichtsorganisation eine formell-gesetzliche Grundlage erforderlich. Die angefochtene Ordnung betrifft nicht bloss untergeordnete Fragen, welche von der Exekutive geregelt werden könnten. In Anbetracht ihrer Bedeutung hält somit § 2 EV-BWIS/ZH auch vor den Anforderungen von Art. 30 Abs. 1 BV nicht stand.

Der Kanton Zürich berief sich im Verfahren vor Bundesgericht auf das Polizeigesetz, das er als gesetzliche Grundlage heranziehen wollte. Dazu das Bundesgericht:

Im Zeitpunkt des Erlasses der Einführungsverordnung war das Polizeigesetz noch nicht formell zustande gekommen; auf Referendum hin ist es erst am 24. Februar 2008 in der Volksabstimmung angenommen worden; dem Vernehmen nach soll es erst auf Anfang 2009 in Kraft gesetzt werden. Bei dieser Sachlage kann das Polizeigesetz nicht als formell-gesetzliche Grundlage für § 2 EV-BWIS/ZH betrachtet werden (E. 3.4).

Weiter prüfte das Bundesgericht, ob und inwieweit die Kantone vor Ablauf der Übergangsfrist widersprechendes Recht schaffen dürfen:

Eine ähnliche Frage stellte sich nach dem Inkrafttreten des Steuerharmonisierungsgesetzes. Das Bundesgericht befand, dass während der achtjährigen Übergangsfrist geschaffenes neues kantonales Recht den Anforderungen des Bundesrechts zu genügen habe und sog. disharmonisierendes kantonales Recht bundesrechtswidrig sei (BGE 124 I 101; vgl. zur Aufrechterhaltung einer dem Steuerharmonisierungsgesetz widersprechenden Praxis BGE 123 II 588 E. 2c S. 591). In vergleichbarer Weise wurde in der Doktrin hinsichtlich des Art. 98a OG die Auffassung vertreten, dass die Kantone während der Übergangsfrist von fünf Jahren kein Verfahrensrecht schaffen dürften, welches dem Sinn und Geist von Art. 98a OG widerspreche (…). Daraus ergibt sich, dass die angefochtene Regelung ab dem 1. Januar 2009 in Bezug auf den gerichtlichen Instanzenzug mit Bundesrecht im Widerspruch steht. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Regelung bereits heute mit den Anforderungen nach Art. 86 Abs. 2 BGG nicht vereinbar ist.

Damit sind die fraglichen Normen (§ 2 Abs. 1-3 EV-BWIS/ZH) aufzuheben, was zur Frage führt, welche Folgen das nun für den Kanton Zürich hat. Das Bundesgericht schliesst aus Art. 5 EMRK, dass der Kanton Zürich neu zu legiferieren hat und nicht einfach auf die allgemeine Rechtsmittelordnung abstellen kann:

Daraus ergibt sich in Bezug auf den Polizeigewahrsam, dass die aufgezeigte Rechtsmittelordnung gemäss den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes zwar den Anforderungen des Bundesgerichtsgesetzes entsprechen würde, indes mit dem Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit im Widerspruch stünde (E. 4.4).
Bei dieser Sachlage ist es in Anbetracht der Aufhebung von § 2 Abs. 1-3 EV-BWIS/ZH Sache der kantonalen Behörden, das Verfahren nach dem kantonalen Verfassungs- und Organisationsrecht neu zu ordnen. Wie aufgezeigt, ist eine Neuordnung in Bezug auf die Rayonverbote und die Meldeauflagen vor dem Hintergrund des Bundesrechts (BGG und BWIS) nicht erforderlich. Hingegen bedarf der Polizeigewahrsam einer Ordnung, die sowohl dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (E. 4.4) wie dem Bundesgerichtsgesetz (oben E. 3.5) Rechnung trägt (E. 4.5).

 Bemerkenswert ist übrigens auch der Kostenentscheid zu Lasten der Beschwerdeführer, den das Bundesgericht wie folgt begtündet:

Demnach ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und sind die Bestimmungen von § 2 Abs. 1-3 EV-BWIS/ZH aufzuheben. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann; das gilt auch in Bezug auf § 2 Abs. 4 EV-BWIS/ZH (oben E. 3.6).
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern im Ausmasse ihres Unterliegens aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Wegen Fehlens eines entsprechenden Antrages und mangels anwaltlicher Vertretung (BGE 125 II 518 E. 5b S. 519) ist ihnen keine Parteientschädigung zuzusprechen (E. 5).