Zum Teilnahmerecht der Verteidigung (Art. 147 Abs. 1 StPO)

Die Strafverfolger verschiedener Kantone versuchen offenbar, die Teilnahmerechte nach Art. 147 ff. StPO unter Berufung auf den Grundsatz der getrennten Einvernahme (Art. 146 Abs. 1 StPO) und der Gehörsbeschränkung nach Art. 108 StPO zu beschränken. Insbesondere werden die Verteidiger mitbeschuldigter Personen von Einvernahmen ausgeschlossen. Es wird befürchtet, die Verteidiger könnten ihre Klienten über das Aussageverhalten der Mitbeschuldigten informieren und dadurch der Wahrheitsfindung entgegenwirken.

Das Obergericht des Kantons Basel-Stadt hat dieser Praxis vorerst eine Absage erteilt und entsprechende Beschwerden gutgeheissen. Aus BE.2011.20 vom 14.04.2011:

Gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO haben die Parteien das Recht, an sämtlichen Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte teilzunehmen. Teilgenommen werden kann an Einvernahmen und Augenscheinen: So an der Vernehmung der beschuldigten Personen, von Zeugen, Auskunftspersonen und Sachverständigen. Entgegen vieler kantonaler Regelungen, welche die Teilnahme im Vorverfahren auf die Befragung von Zeugen, Auskunftspersonen und Sachverständigen beschränkten, kann auch an der Einvernahme von Mitbeschuldigten teilgenommen werden. Voraussetzung ist die ParteisteIlung im jeweiligen Verfahren (SCHLEIMINGER, Basler Kommentar StPO, Basel 2011, Art. 147 StPO N 4 f.; SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009, N 803 und 821 bis 823). Das Teilnahmerecht kann gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO eingeschränkt werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Partei ihre Rechte missbraucht. Diese Einschränkungsmöglichkeit besteht, wenn zureichende Anhaltspunkte vorliegen, dass die Partei ihre Anwesenheit oder das durch die Anwesenheit erlangte Wissen dazu missbrauchen würde, durch Verdunkelungshandlungen, so durch das Einwirken auf Beweismittel oder durch unzulässige Beeinflussung der einzuvernehmenden Person, die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen. Es reicht nicht aus, dass der Beschuldigte seine Aussage anpassen bzw. Mitbeschuldigte ihre Aussagen aufeinander abstimmen könnten (SCHLEIMINGER, a.a.O., Art. 147 StPO N 14) (E. 2.4.2).

Der Entscheid überzeugt, weil er sich auf den Wortlaut des Gesetzes stützten kann, während gegenläufige Meinungen um waghalsige Ableitungen aus dem Grundsatz der (immer wieder falsch verstandenen) materiellen Wahrheit nicht herum kommen.
Praktisch können solche Diskussionen im Übrigen leicht vermieden werden: wer in einem Strafverfahren aussagt ohne zu wissen, was andere gesagt haben, macht ohnehin einen Fehler. Die rigide Praxis der Strafverfolger wird am Ende ohnehin nur dazu führen, dass die Beschuldigten vermehrt von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.