Zur Freigabe beschlagnahmer Forderungen im Prätendentenstreit
Die Beschlagnahme von zivilrechtlichen Ansprüchen ist möglich. Wahrscheinlich weil sie so kompliziert zu sein scheint, wird sie kaum je (bewusst) angeordnet, obwohl die Beschlagnahme von Bankkonten ja bei Lichte besehen (in der Regel) nichts anderes als die Beschlagnahme einer Forderung des Bankkunden gegenüber der Bank ist. Es wird damit ja nicht “Geld” beschlagnahmt. Das Bundesgericht hatte sich in einem heute publizierten Fall mit der Frage der Aufhebung der Beschlagnahme einer Forderung zu beschäftigen. Der entsprechende Betrag wurde dann – so wird geltend gemacht – an eine Nichtgläubigerin ausbezahlt (BGer 6B_2/2012 vom 01.02.2013). Das Bundesgericht hat die unrichtigen Rechtserörterungen der Vorinstanz korrigiert, die Beschwerde aber mit einer Begründung abgewiesen, die mir auf die Schnelle nicht einleuchten will.
Grob verkürzt ging es also darum, dass die Strafverfolgungsbehörden ein beschlagnahmtes Guthaben an C. AG überwiesen hat, deren Berechtigung zivilrechtlich unklar war. Die Vorinstanz war der Meinung, der Staat trete an die Stelle des Schuldners und müsse nach Art. 96 und 168 OR hinterlegen. Das Bundesgericht ist anderer Meinung:
Mit der Beschlagnahme einer Forderung tritt der Staat entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht an die Stelle des Schuldners. Art. 96 und Art. 168 OR sind nicht anwendbar. Wenn die Strafbehörde die beschlagnahmte Forderung in Kenntnis eines Prätendentenstreits zu Handen eines Prätendenten freigibt, so hat sie, falls sich später der andere Prätendent als anspruchsberechtigt erweist, nicht gleich einem Schuldner gestützt auf Art. 168 OR an diesen anderen Prätendenten und somit ein zweites Mal zu zahlen. Die Verantwortlichkeit der Strafbehörde bestimmt sich bei der Freigabe von beschlagnahmten Forderungen nach denselben Regeln wie bei der Freigabe von beschlagnahmten anderen Vermögenswerten und von beschlagnahmten Gegenständen. Hier wie dort ist Art. 168 OR nicht anwendbar (E: 8.5).
Damit ist das Problem ja aber nicht gelöst. Das Bundesgericht löst es, indem es die Forderung überspitzt ausgedrückt wie eine Sache behandelt, die zufolge Aufhebung der Beschlagnahme nicht mehr besteht. Was nicht mehr da ist, kann nicht mehr herausgegeben werden:
Nach der Überweisung des Vermögenswerts auf das fragliche Konto der C. AG war, wie der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich in seiner Verfügung vom 14. Dezember 2007 (…) zutreffend festhielt, “gar kein Streitsubstrat mehr vorhanden, da das Geld bereits weg war” (…). Daher konnte sich die Frage, ob der Vermögenswert zu hinterlegen und dem einen Ansprecher Frist zur Einreichung einer Zivilklage gegen den andern anzusetzen war, nicht mehr stellen. Nach der Überweisung des Vermögenswerts auf ein Konto der C. AG konnten sich nur noch die Fragen stellen, ob die Strafbehörde rechtswidrig gehandelt hatte, indem sie es unterliess, den Vermögenswert zu hinterlegen und dem einen Ansprecher Frist zur Einreichung einer Zivilklage gegen den andern anzusetzen, und ob sich aus einem allfälligen rechtswidrigen Vorgehen der Strafbehörde eine Schadenersatzpflicht des Staates nach den Regeln betreffend die Staatshaftung ergab (E. 8.6.2).
Ich glaube nicht, dass das richtig ist. Die Forderung geht doch nicht unter, wenn sie an einen Nichtgläubiger bezahlt wird. Das Streitsubstrat war bzw. ist m.E. sehr wohl noch vorhanden, nämlich in der Form einer Forderung.