22 Jahre nach der Tat verurteilt (Update 1)
In Ergänzung zu meinem ersten Beitrag zitiere ich aus der gedruckten Version der Berichterstattung der Solothurner Zeitung. Daraus ist zu schliessen, dass der Fall vielleicht nicht ganz so einfach war, wie ihn das Bundesgericht aussehen liess.
Zuerst aber das Zitat:
Staatsanwalt X. scheute keinen Aufwand, um die Tat zu klären und die Täter zu fassen. Der Zeuge, der den entscheidenden Tipp gegeben hatte, blieb anonym. Auf den einen Verdächtigen, der unbehelligt als Taxifahrer in der Region lebte, setzten die Strafverfolger über längere Zeit einen verdeckten Ermittler an und entnahmen ihm bei einer fingierten Polizeikontrolle DNA-Proben. Betreffend den andern Verdächtigen führte X. direkte Verhandlungen mit den serbischen Behörden in Belgrad. Über die Kosten des ganzen Verfahrens machte die Staatsanwaltschaft gestern auf Anfrage keine Angaben. Sie dürften sich mindestens in einem hohen sechsstelligen Bereich bewegen.
Anonymer Zeuge, verdeckter Ermittler zu Aufklärung einer Jahre zurückliegenden Tat, fingierte Polizeikontrolle, direkte Verhandlungen mit den serbischen Behörden aber keine Akteneinsicht, keine Befragung des Mittäters, hunderttausende von Franken: das sind ein paar Stichworte, denen auf den Grund zu gehen wäre. Vor Bundesgericht blieben sie belanglos, denn der entscheidende Zeuge, der durch Zeugenschutzprogramm geschützt werden musste, war gerade nicht entscheidend:
Der Beschwerdeführer habe zugestanden, in der Tatnacht zusammen mit B.Y. am Tatort gewesen zu sein. Die nachfolgende Beweiswürdigung zu seiner allfälligen Beteiligung am Tötungsdelikt stütze sich ausschliesslich auf seine eigenen Aussagen sowie die Fotos und Spuren vom Tatort bzw. die gestützt darauf erstellten Auswertungen und Gutachten. Damit würden die Aussagen des anonymen Zeugen bei der gerichtlichen Beweiswürdigung kein belastendes Beweismittel darstellen und die Frage der Verwertbarkeit stelle sich nicht. Ebenso wenig könne man entlastende Aussagen des Zeugen erwarten. (E. 6.2)
Und wieso war jetzt der Zeuge, dessen Schutz nicht richterlich genehmigt worden war (Art. 150 Abs. 2 StPO), nicht wichtig? Hat nicht er die Spur zum Verurteilten gelegt und damit das ganze Verfahren erst ermöglicht? Wozu diente der verdeckte Ermittler? Gemäss Bundesgericht ist der Verurteilte ja auch hier über seine Aussagen gestolpert.
More to come …
Wie Update 1 zutreffend anmerkt, ist der der Staatsanwaltschaft bekannte anonyme Zeuge Dreh- und Angelpunkt des Prozesses; dessen Nichtverfügbarkeit, sich als Zeuge, der auch Entlastendes vorbringen kann, befragen zu lassen, verletzt das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozess:
„Der betreffende Zeuge (gemeint ist der anonyme Zeuge, den der Angeklagte befragen lassen wollte, aber nicht durfte) soll nicht als Entlastungszeuge herangezogen werden“ (E6.3). Damit verletzt das Urteil Bundesrecht: Der den Mörder kennende anonyme Zeuge (E6.2 1. Satz) wird vielmehr dies tun, also den Angeklagten entlasten, indem er – unter anderem; dies ist die naheliegendste Möglichkeit – dem Angeklagten das Alibi für den entscheidenden zweiten Teil des Tatzeitraumes des Raubmordes (dem des Mordes) gibt.
Die Zeugnisverweigerung war nebenbei gesagt auch rechtlich unbegründet: Wie Update 1 zu Recht zu Bedenken gibt, war dem anonymen Zeugen nach der bindenden Feststellung der Vorinstanz (vgl E6.2) die Anonymität nicht zugesichert worden, dies öffnet also dem durch den Strafverteidiger wiederholt vorgetragenen Ersuchen um seine Befragung den Weg.