247 Tage unschuldig in Untersuchungshaft
Das Bundesgericht qualifiziert eine Genugtuung von CHF 80.00 pro Tag für ungerechtfertigte Haft, total CHF 19.760.00, nicht als willkürlich tief (BGer 6B_547/2011 vom 03.02.2012). Es macht u.a. geltend, der Beschwerdeführer sei ja schon mehrfach in Untersuchungshaft und im Strafvollzug gewesen:
Bei der Bemessung der Genugtuung berücksichtigt die Vorinstanz, dass sich der Beschwerdeführer während 247 Tagen ungerechtfertigt in Haft befand, die aber nicht mit besonderer Publizität verbunden war. Die Haft riss ihn weder aus stabilen Arbeitsverhältnissen noch aus einem sozialen Netz. Sie war auch kein schockierendes neues Erlebnis für ihn, weil er im Laufe der letzten Jahre schon mehrfach in Untersuchungshaft und über 18 Monate im Strafvollzug war. Abgesehen von den üblichen Nachteilen und Erschwernissen (psychische Belastung), die eine Inhaftierung mit sich bringt, sind keine weitergehenden psychischen und physischen Folgen der Haft erkennbar (angefochtener Entscheid S. 34 Ziff. 3.3) [E. 3].
Der übliche Tagessatz bei kurzer Untersuchungshaft beträgt übrigens CHF 200.00 pro Tag:
Ein solcher Betrag wird nur bei kurzfristigem Freiheitsentzug zugesprochen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine höhere Entschädigung rechtfertigen. Zudem ist der Tagessatz bei längerer Untersuchungshaft (von mehreren Monaten Dauer) in der Regel zu senken (Urteil 6B_574/2010 vom 31. Januar 2011, E. 2.3) [E. 2]
Seien wir doch ehrlich: Bei dem Inhaftierten handelt es sich um einen Schmarotzer der wie Chaplin im wunderschönen Film alles daran setzte um wieder eingelocht zu werden. Solche Elemente sollten für den geheizten Aufenthalt und die tadellose staatliche Fürsorge was bezahlen müssen oder was sehe ich da falsch?
Faschismus. Was ist der Unterschied zu totalitären Staaten?
Würde ich als Richter über Entschädigung für U-Haft entscheiden, gäbe es pauschal 1’000 CHF pro Tag. Und ich würde darüberhinaus pro Tag 1 % dazu rechnen.
Bei 247 Tagen macht dies also 247’000 mal 3.47 = 950’780 CHF.
Was auch durchaus gerechtfertigt wäre. 80 CHF / Tag decken ja nicht mal einen allfälligen Erwerbsausfall!!! Von Entschädigung kann da ja keine Rede sein!
Dieser Vorschlag scheint mir nur dann akzeptabel, wenn die Vergütung von den für die widerrechtliche Haft verantwortlichen Personen persönlich bezahlt werden müsste!
Erwerbsausfall käme als Schadenersatz im Einzelfall ja zur Genugtuung hinzu. Gottseidank sind Sie nicht Richter 🙂
Lieber Karioder,
danke für Ihre Antwort nach 8 Jahren und 5 Monaten.
Wieso bin ich „Gottseidank“ kein Richter?
Ich habe noch nie gehört, dass zusätzlich zur Genugtuung auch noch Erwerbsausfall bezahlt wird. Können Sie mir ein Urteil zeigen, wo das steht?
Ich fordere immerhin gerechte Entschädigung und Sie sind froh, dass jemand wie ich kein Richter ist?
Sie sind wohl einer, der findet, für U-Haft brauche es möglichst keine Entschädigung.
Ich habe übrigens nur zufällig bei den neuen Kommentaren Ihren Kommentar angeklickt, und war dann überrascht, dass es eine Antwort auf mich war.
Ihre Antwort ist sozusagen verspätet. Zum Glück sind Sie kein Richter, wenn Sie 8 Jahre benötigen für die Beantwortung eines Kommentars.
Ihre Beschwerde wird daher abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
Wäre ich Richter, würde ich den Bundesrat höchst persönlich um eine verbindliche Antwort fragen:
„Für wie viel Geld wollen Sie gerne:
– an Handschellen polizeilich abgeführt werden
– ohne spezielle Kontakte zu Anwälten, einen von amtes Wegen zugesprochenen Halbschuh von Pflichtverteidiger bekommen
– täglich stundenlang in einer kleinen Zelle eingesperrt sein
– kein Telephonanruf nach aussen, keine email Kontakte, kein Internet, keine faire Möglichkeit, sich über einen kompetenten Verteidiger zu informieren
– stark eingeschränkte Literatur zur Verfügung bekommen
– persönliche Briefe werden vom Staatsanwalt (also vom Gegner des Prozesses) gelesen
– persönliche Besuche von Personen werden überwacht und abgehört
– Verbot, mit Angehörigen über den Fall zu sprechen (somit kann auch von aussen niemand eine kompetente Verteidigungsstrategie organisieren)
– öffentliche Blosstellung in der Boulevardpresse, ohne Möglichkeit auf Aufklärung
– Jobverlust, Verlust des sozialen Umfelds
– Keine angemessene Bildungsmöglichkeiten, kein Urlaub z.B. für ein Studium
– komplete Überwachung
– keine Selbstbestimmung, totale Bevormundung
– als per Definition unschuildig geltende Person sich eine Behandlung wie ein Krimineller gefallen lassen
– mangelnde Medizinische Versorgung
– menschenunwürdige Haftbedingungen
…das alles wochenlang mitmachen?“
Es ist beschämend, dass sich ein Staat als „Rechtstaat“ bezeichnet, andere Staaten als Diktaturen betitelt und selbst sein Unrecht mit einer solch verhöhnender Lächerlichkeit begleichen will.
Ich kenne die Details, da ich selbst einen ende 80- Jährigen kenne, dem es wochenlang so ergangen ist. Und das, obwohl sich von Anfang an aus keinem rationalen Grund ein sachlicher Tatbestand ergeben hat, von Fluchtgefahr kann schon gar nicht die Rede sein.
Das krasse ist, dass nicht etwa der Staat von sich aus auf ihn zukommt und sich öffentlichkeitswirksam für sein Unrecht entschuldigt und eine anständige Summe hinblättert. Seine Anwälte müssen in die Bittstellposition gehen, dem Unrecht Stückweise entgegenzuwirken.
Es ist die grenzenlose Ignoranz gewisser Schweizer, wenn sie über Putin und angeblich schlechte Zustände in Russland nörgeln und dabei keine Ahnung haben, wie die Menschenrechte hierzulande mit Füssen getreten werden, vor allem wenn der Staat Fehler eingestehen muss.
@Thomas R: Aussagekräftige Liste!
Ich bezweifle jedoch, dass dies irgendeinen Bundesrat interessiert, der 40’000 pro Monat verdient und seine Arbeitszeit hauptsächlich damit verbringt, die Interessen mächtiger Lobbyisten (i.d.R. gegen die Interessen der Allgemeinheit) zu vertreten.
Die MEISTEN Richter, Staatsanwälte, Rechtsprofessoren, Verteidiger auch nicht, obwohl alle Bescheid wissen. Mit dem Finger auf Unrechtsstaaten zu zeigen ist einfacher als zuhause Position zu beziehen.
Welch tiefen Stellenwert die Bundesrichter rechtswidriger oder nachträglich ungerechtfertigter U-Haft beimessen, sieht man auch daran, dass sie den (ohnehin zu niedrigen) Tagessatz bei längerer U-Haft senken statt ihn zu erhöhen.
Und dass „Hafterfahrene“ durch eine weitere Haft generell geringer belastet seien, ist geradezu zynisch (siehe oben). Diese Sichtweise entlarvt das Menschenbild der am Entscheid beteiligten Bundesrichter Mathys, Schneider, Schöbi.