a.o. Ersatzoberrichter unbefangen
In einem Berufungsverfahren im Kanton Zug stellten drei Beschuldigte Ausstandsbegehren, die aus der Ferne betrachtet sehr gute Chancen gehabt haben müssten. Schon der Umstand, dass ein Gerichtsschreiber kurzfristig zum “a.o. Ersatzoberrichter” gewählt wird, wirft Fragen auf, die im Wahlprozess auch diskutiert wurden.
Das Bundesgericht bügelt die Beschwerdegründe aber förmlich nieder (BGer 7B_322/2023 vom 27.12.2023). Ich zitiere hier nur die Zusammenfassung der Rügen, die mir eigentlich plausibel erscheinen. Ausnahmsweise und ohne für mich erkennbaren Grund anonymisiert das Bundesgericht die Namen der Richter, die ja seinem Entscheid nach gar nicht befangen waren. Hier also die Rügen:
Zusammengefasst bringen sie vor, dass der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts Zug, Oberrichter F., früher fallführender Staatsanwalt in den gegen sie geführten Verfahren gewesen sei [Anm. des Verfassers: F. trat immerhin von sich aus in den Ausstand].
Der Beschwerdegegner 1 habe bis Ende Januar 2023 als Gerichtsschreiber bei der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug gearbeitet. Dabei sei er in dieser Zeit auch für Oberrichter F. tätig gewesen. Am 26. Januar 2023 sei er vom Kantonsrat als a.o. Ersatzoberrichter gewählt und am 1. Februar 2023 im hier interessierenden Berufungsverfahren als Verfahrensleiter eingesetzt worden. Der Beschwerdegegner 1 sei damit bis zu seiner Wahl am 26. Januar 2023 in einem Subordinationsverhältnis zu F. gestanden, welches insbesondere im Hinblick auf die Karriereplanung des Beschwerdegegners 1 von ganz besonderer Prägung gewesen sei. Es könne – so die Beschwerdeführer 1 und 3 – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses vorbestehende Subordinationsverhältnis den Beschwerdegegner 1 hemme, die Anklage seines früheren Vorgesetzten kritisch und ergebnisorientiert zu hinterfragen.
Hinzu komme, dass die Wahl des Beschwerdegegners 1 als a.o. Ersatzoberrichter auf zwei Jahre beschränkt sei. Es deute alles darauf hin bzw. sei ein realistisches Szenario, dass der Gewählte nach Ablauf der zweijährigen Amtsdauer ein Interesse habe, erneut als Gerichtsschreiber in der Abteilung von F. angestellt zu werden und damit der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug erhalten bleibe. Mit dem Vorkehren, dass dem Beschwerdegegner 1 offiziell keine Zusicherung bezüglich einer Wiederanstellung als Gerichtsschreiber gemacht wurde, könne dem Anschein von Befangenheit nicht begegnet werden. Die zwischenzeitliche “formelle” Auflösung sei Makulatur. Die konkrete Möglichkeit, später erneut in einem Subordinationsverhältnis zu Oberrichter F. zu stehen, begründe ernstliche Zweifel daran, dass es dem Beschwerdegegner 1 möglich sei, das Verfahren offen und unabhängig zu führen. Auf die Befangenheitsproblematik sei im Übrigen von verschiedenen Kantonsräten bereits anlässlich der Wahl des Beschwerdegegners 1 als a.o. Ersatzoberrichter hingewiesen worden. Damit sei schon vor der Wahl voraussehbar gewesen, dass sich diesbezüglich Probleme stellen könnten.
Im Übrigen sei der Beschwerdegegner 1 von Anfang an gezielt als a.o. Ersatzoberrichter für jene Fälle vorgesehen gewesen, in welchen F. wegen Vorbefassung in den Ausstand zu treten habe. Laut dem Beschwerdeführer 2 hätte F. daher als Mitglied des Plenums des Obergerichts des Kantons Zug, welches dem Kantonsrat den Beschwerdegegner 1 zur Wahl vorschlug, bei der Verabschiedung des Wahlantrags in den Ausstand treten müssen. Da er dies nicht tat, sei davon auszugehen, dass er einen gewissen Einfluss auf die Wahl des Beschwerdegegners 1 gehabt habe. Der Einfluss von F. auf den Vorschlag des Obergerichts des Kantons Zug, den Beschwerdegegner 1 als a.o. Ersatzoberrichter zu wählen, sei – so der Beschwerdeführer 2 – objektiv geeignet, den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit zu wecken.
Ohnehin müsse gemäss den Beschwerdeführern 1 und 3 berücksichtigt werden, dass Oberrichter F. Einfluss auf die zukünftige Karriere des Beschwerdegegners 1 habe, was ohne Weiteres den Anschein von Befangenheit begründe. Indem die Vorinstanz dies ausblende, verfalle sie in Willkür.
Schliesslich habe der Beschwerdegegner 1 bereits am 2. bzw. 3. Februar 2023 erste, umfangreiche Präsidialverfügungen erlassen und am 1. Februar 2023 mit der Privatklägerschaft korrespondiert. Angesichts der Dimension des Straffalls hätten diese Verfügungen ein aufwendiges Aktenstudium und entsprechend einen grösseren Arbeitsaufwand vorausgesetzt. Folglich sei klar, dass sich der Beschwerdegegner 1 bereits in seiner Funktion als Gerichtsschreiber mit der Strafsache befasst hat. Es könne dementsprechend nicht ausgeschlossen werden, dass er diesen Auftrag vom Abteilungspräsidenten F. erhalten habe. Sowohl der Beschwerdegegner 1 als auch die Vorinstanz würden sich genau in diesem Punkt um eine klare Stellungnahme drücken, was den Anschein von Befangenheit weiter verstärke (E. 4.1).
Bizarr (aber auch in anderen Kantonen nicht unbekannt) ist der Umstand, dass das Obergericht dem Kantonsrat Wahlvorschläge für künftige Oberrichter unterbreitet. Aber ich weiss jetzt nicht auswendig, ob und inwiefern im Kanton Zug Gewaltentrennung gilt. Richterliche Unabhängigkeit wird jedenfalls nicht hoch gehängt.
Man kann zu dieser Sache spannende Dinge googlen.
https://www.nau.ch/ort/zug/ausserordentlicher-zuger-ersatzrichter-wahl-mit-nebengerauschen-66404335
https://www.zugerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/zuger-kantonsrat-obergericht-eine-richterwahl-mit-misston-ld.2405700
Es wäre aber billig, nur das Obergericht oder das Bundesgericht zu rüffeln. Versagt hat primär auch die Zuger Legislative, die überhaupt den a.o. Ersatzoberrichter in Kenntnis der Problematik gewählt hat. Dass das Bundesgericht den a.o. Ersatzoberrichter nicht in den Ausstand stellt, ist für mich nicht nachvollziehbar und vermindert mein Vertrauen in unser höchstes Gericht in Lausanne. Die Rügegründe in den Erwägungen des Bundesgerichtsurteils überzeugen mich. Ich verstehe nicht, weshalb das Bundesgericht hier nicht einschreitet. Letztlich schadet es der Akzeptanz des gesamten Verfahrens und der Reputation des Justizsystems an sich, wenn Konstellationen zugelassen werden, wie sie in diesem Zuger Fall geschaffen worden sind. Es gibt derzeit viele Stellen mit Renovationsbedarf in unserem Justizsystem. Websites wie http://www.strafprozess.ch helfen uns, diese gefährlichen, baufälligen Stellen zu erkennen.
@Gerichtsschreiber: Herzlichen Dank.
@ Gerichtsschreiber
Ich kann Ihnen als ausländischer Jurist der zwar pensioniert ist aber immer noch viel im Kontakt bestätigen, die Schweizer Justiz mit ihren ganzen kleinen Skandalen und unnachvollziehbarer Rechtsprechung hat in den letzten 30 Jahren massiv Vertrauen bei internationalen Personen eingebüsst. Solche Rechtsprechung wird via Big 4 dann den Konzernen angeraten und ich kenne nicht wenige Firmen die (auch) wegen solcher Rechtsprechung in ihren Verträgen zu Stockholm und Co als Schiedsgerichte greifen, bzw. nach Singapur oder Hong Kong als Gerichtsstand und das Commen Law als das Recht wählen, falls doch Justiz gefragt ist. Auch in den ganzen Freihandelsrunden wird immer wieder die mangelnde Rechtsprechung in den Staaten monier.t Im Jahre 1995 noch undenkbar. Das ist solchen Richtern zu verdanken bzw. Legislative die total versagt. Grüsse aus dem ehemaligen Ostblock.
Ja man möchte ja unter sich bleiben. Wäre unangemehn wenn da einer käme der Rechtsprechem möchte, dann müsste man tatsächlich Arbeiten fürs Geld und könnte Urteile von Tag nicht bei Znüni fällen. Das wäre auch tragisch weil man dann weniger Zeit hätte sichs aufs Füdli der Gerichstschreiberin zu konzentrieren.
@ John :-)))))))))))))))))))))