Ab wann ist der Insider kriminell?

Das Bundesgericht hat sich kürzlich in einem Grundsatzentscheid darüber ausgesprochen, wann eine Information kursrelevant i.S. des Insidertatbestands (aArt. 161 StGB bzw. neu Art. 154 FinFraG) ist (BGE 6B_90/2019 vom 07.08.2019, Publikation in der AS vorgesehen).

Theorie:

Kursrelevant ist die Information, wenn sie aus einer ex ante-Betrachtung geeignet ist, den Kurs von Effekten oder aus ihnen abgeleiteter Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, mithin von ihrem Bekanntwerden eine über den Rahmen üblicher Kursschwankungen deutlich hinausgehende Kursveränderung zu erwarten wäre (…).  In subjektiver Hinsichterfordert der Tatbestand Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt. In Bezug auf die Merkmale des genügend sicheren Wissens um die vertrauliche Tatsache und um deren Kursrelevanz ist direkter Vorsatz erforderlich (E. 3.2). 

Praxis:

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist das angefochtene Urteil, soweit die Vorinstanz die Kursveränderung im Umfang von 15,26% als erheblich einstuft. Es trifft zu, dass der vom Beschwerdeführer zitierte Autor annimmt, bei Aktien scheine die kritische Grenze bei Kursausschlägen von 20% und mehr zu liegen (…). Doch nimmt die Vorinstanz zu Recht an (…), dass eine Bestimmung der Erheblichkeit der zu erwartenden Kursveränderung nach Prozentangaben nicht zu überzeugenden Ergebnissen führt (…). Die Vorinstanz hat die Kursrelevanz daher mit zureichenden Gründen nach dem sog. “Reasonable Investor Test” beurteilt und sie als gegeben erachtet, wenn ein vernünftiger Anleger die Information mit erheblicher Wahrscheinlichkeit als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde (…). Mit dieser Begründung setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Im Übrigen werden in der Literatur beim Aktienhandel nicht erst Kursschwankungen von 20% und mehr, sondern auch bereits Bewegungen von 5-10% als relevant erachtet (…). [E. 3.4.1].

Gerügt wurde auch noch eine Verletzung des Grundsatzes “nemo tenetur”. Die Erwägungen des Bundesgerichts zur Verwertbarkeit verstehe ich aber ohne die Beschwerdeschrift ehrlich gesagt weitgehend nicht:

Im Weiteren verletzt das angefochtene Urteil auch nicht den nemo-tenetur-Grundsatz. Nach der Rechtsprechung verstossen blosse Aufforderungen, in einem Verwaltungs- oder Strafverfahren Dokumente einzureichen, die nicht mit einer Strafdrohung wegen Ungehorsams verbunden sind, nicht gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK. In einem aufsichtsrechtlichen Verwaltungsverfahren gilt dies insbesondere, wenn für den Editionsadressaten eine verwaltungsgesetzliche Pflicht besteht, entsprechende Dokumente zu erstellen, aufzubewahren und den zuständigen Behörden zur Verfügung zu stellen (BGE 142 IV 207 E. 8.3.2 mit Hinweisen). Auch wenn man davon ausgeht, dass die Strafe im vorliegenden Fall implizit angedroht wurde, liegt gleichwohl keine Verletzung des Grundsatzes vor. Im zu beurteilenden Fall geht es um die Sachverhaltsabklärung im Rahmen eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens und nicht um ein Verfahren mit pönalem Charakter, das – wie im Steuerstrafverfahren (BGE 138 IV 47 E. 2.6.1) – die strafrechtliche Verfolgung von Regelverstössen bezweckt (BGE 140 II 384 E. 3.2.1 f.; 139 I 72 E. 2.2.2). Die blosse Aufforderung, in einem solchen Verfahren Dokumente einzureichen, zu deren Erstellung eine gesetzliche Pflicht besteht, verletzt für sich allein den nemo-tenetur-Grundsatz nicht. Könnte die Aufsichtsbehörde auf diese Unterlagen trotz entsprechender gesetzlicher Grundlagen nicht zurückgreifen, würde die aufsichtsrechtliche Durchsetzung der materiellen gesetzlichen Pflichten in beaufsichtigten Wirtschaftsbereichen praktisch verunmöglicht (BGE 140 II 384 E. 3.3.4). Hievon zu unterscheiden ist die Frage, ob die unter Mitwirkung der Parteien in einem Verwaltungsverfahren gewonnenen Beweismittel allenfalls in einem nachfolgenden Strafverfahren verwertet werden dürfen (…). Wie die Vorinstanz zutreffend erkennt, ist im zu beurteilenden Fall nicht ersichtlich, inwiefern die betreffenden Auskünfte und Unterlagen den Beschwerdeführer in strafrechtlicher Hinsicht hätten belasten können. Dies ergibt sich aus der Auflistung der Punkte im angefochtenen Urteil, in Bezug auf welche der Beschwerdeführer unvollständig Auskunft erteilt oder Unterlagen eingereicht hat (…). Schliesslich ist auch nicht zu sehen, inwiefern die Akten des Bundesverwaltungsgerichts geeignet gewesen wären, etwas zur Klärung des vorliegenden Falles beizutragen. Wie sich aus der Eingabe an das Bundesstrafgericht vom 5. Juni 2018 ergibt, auf welche der Beschwerdeführer verweist (Beschwerde S. 48), wurde das Verwaltungsverfahren am 3. März 2015 mit einem Vergleich erledigt und wurde das Ausstandsbegehren mithin nie formell beurteilt (…). Die im Rahmen der Vergleichsverhandlungen abgegebene Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des Ausstandsgesuchs ist für sich allein nicht relevant. Im Übrigen hätte eine allfällige Befangenheit der verfahrensführenden Beamten der Aufsichtsbehörde auf das Strafverfahren keinen Einfluss. Darüber hinaus ist die Frage, aus welchem Grund und aufgrund welcher Informationen durch welche Personen die RAB motiviert worden ist, Strafanzeige zu erstatten, für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung. Dasselbe gilt für die Frage, ob überhaupt ein hinreichender Anfangsverdacht für eine Anzeige bestand (E. 5.4, Hervorhebungen durch mich).