Absoluter Konfrontationsanspruch?
Das Bundesgericht betont immer wieder, der Konfrontationsanspruch sei “grundsätzlich absolut”, um dann im Einzelfall festzustellen, dass er doch nicht verletzt sei.
In einem aktuellen Urteil hat das Obergericht AG den einzigen Belastungszeugen zwecks Konfrontation vorgeladen. Obwohl er nicht erschienen ist, hat es den Beschuldigten verurteilt (BGer 6B_1196/2018 vom 06.03.2019). Dabei hat es auf die nicht konfrontierten Aussagen des Belastungszeugen bei der Polizei abgestellt. Der an sich absolut geltende Konfrontationsanspruch war nicht verletzt, weil der Beschuldigte dies erstmals im Plädoyer vor erster Instanz gerügt hat:
Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, soweit sie die Aussagen des Privatklägers im Ermittlungsverfahren zulasten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Nach den Feststellungen der kantonalen Instanzen hat dieser nie einen Beweisergänzungsantrag auf Konfrontation mit dem Privatkläger gestellt. Im Verfahren vor erster Instanz hat er auf Beweisanträge ausdrücklich verzichtet (…). In der erstinstanzlichen Verhandlung hat er lediglich geltend gemacht, die Aussagen dürften mangels Konfrontation nicht zu seinen Ungunsten verwertet werden (…). Auch im zweitinstanzlichen Verfahren hat der Beschwerdeführer von der Einreichung von Beweisanträgen explizit abgesehen (…) und in den Verhandlungen vorfrageweise den Antrag gestellt, die polizeiliche Einvernahme des Privatklägers sei als unverwertbar zu erklären (…). Die Vorinstanz nimmt zu Recht an, bei dieser Sachlage hätten es nicht nur die Behörden zu verantworten, dass der Privatkläger aufgrund seines nicht voraussehbaren Wegzugs nach Kanada mittels Publikation im Amtsblatt habe vorgeladen werden müssen und letztlich nicht mehr auffindbar gewesen sei, so dass er an der zweiten Hauptverhandlung nicht befragt werden konnte (…). Der Beschwerdeführer hätte zur Antragsstellung jedenfalls Anlass gehabt (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N 372). Nach ständiger Rechtsprechung kann der Beschuldigte den Behörden nicht vorwerfen, bestimmte Zeugen zwecks Konfrontation nicht vorgeladen zu haben, wenn er es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht entsprechende Anträge zu stellen (BGE 131 I 476 E. 2.1; 125 I 127 E. 6c/bb; Urteil 6B_529/2014 vom 10. Dezember 2014 E. 5.2 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 140 IV 196; ferner Urteile 6B_422/2017 vom 12. Dezember 2017 E. 1.4.2; 6B_1023/2016 vom 30. März 2017 E. 1.2.3; je mit Hinweisen). Dass die Fragen an Belastungszeugen nicht auf dem Weg einer antizipierten Beweiswürdigung für entbehrlich erklärt werden dürfen, wie der Beschwerdeführer mit Hinweis auf die Rechtsprechung geltend macht (…; BGE 129 I 151 E. 4.3), ändert daran nichts, zumal der Beschwerdeführer, wie ausgeführt, nie einen formellen Antrag gestellt hat. Abgesehen davon hat die Vorinstanz die erste Verhandlung nach ihrer Beratung eben gerade unterbrochen und u.a. den Privatkläger als Auskunftsperson vorgeladen (…). Im Übrigen konnte der Beschwerdeführer zu den belastenden Aussagen des Privatklägers einlässlich Stellung nehmen und haben die kantonalen Instanzen diese sorgfältig geprüft. Der Schuldspruch stützt sich zudem nicht allein auf die fraglichen Aussagen ab, sondern berücksichtigt daneben namentlich die Bekundungen des als Zeuge einvernommenen C. Eine Verletzung des Konfrontationsanspruchs liegt nicht vor (E. 3.1).
Wieso die Vorinstanz den Belastungszeugen wohl vorgeladen hat? Ich dachte immer, der Konfrontationsanspruch diene v.a. der hochgepriesenen Wahrheitsfindung, die von Amts wegen zu betreiben sei. Wahrheitsfindung scheint aber eben doch nicht so wichtig zu sein, wenn man dem Beschuldigten vorwerfen kann, er habe sich zu wenig darum bemüht.
Der Entscheid des Bundesgerichts kommt übrigens ohne einen einzigen Verweis auf die StPO aus. Womöglich hat der Beschwerdeführer einfach vergessen, eine Verletzung von Art. 147 StPO zu rügen.
In Bger 6B_886/2017 (E. 1.5) hiess es noch: “Dem hält der Beschwerdeführer zutreffend entgegen, das Berufungsgericht sei verpflichtet, nicht nur auf Antrag, sondern von Amtes wegen für eine rechtskonforme Beweiserhebung besorgt zu sein.” Man kann sich also Verteidiger wohl dennoch nicht darauf verlassen…
Man würde bestimmt einen Grund finden, warum der Fall nicht vergleichbar ist. Aber mich wundert das alles ehrlich gesagt nicht bei der Anzahl an Entscheiden, die in Lausanne jeden Tag produziert werden.
Seit wann sind der Beschuldigte und sein Verteidiger verpflichtet, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht mittels Beweisanträgen dabei behilflich zu sein, Verfahrensfehler bzw. eine Verletzung des Konfrontationsanspruchs zu vermeiden?
Das dürfte wohl daraus fliessen, dass der Verteidiger nicht Gegner der Staatsanwaltschaft ist sondern eben auch ein Zahnrädchen im komplexen Zusammenspiel der “Wahrheitsfindung”, sprich auch er sollte darum bemüht sein , im Sinne einer guten Verteidigung, belastende Elemente aus dem Weg zu räumen und entlastende Elemente zu schaffen. Sich einfach darauf verlassen, dass die STA wohl einen Fehler machen wird und dieser dann absolut Bestand haben wird, kann auch nicht angehen. Ich finde den Entscheid absolut nachvollziehbar! Gewisse Pflichten dürfen wohl auch den Verteidigern auferlegt werden, so bspw. die Pflicht, im Rahmen der Beweisergänzungsanträge (diese Gelegenheit wird ihnen ja immer und immer wieder geboten, sowohl im Untersuchungs- als auch im Gerichtsverfahren) die Konfrontation einzufordern. Unser zynischer Kollege Jeker kann nicht aus seiner Verteidigerhaut und verkennt, dass der einzige Grund, dass die Verteidigung dieses Recht jeweils nicht selbst beantragt sondern darauf hofft die STA “vergesse” es einzuhalten, der ist, dass der Belastungszeuge genau das tun würde, was ihm eben nicht in die Karten spielen würde, nämlich: seinen Klienten zu BELASTEN! Entsprechend kann dieses Katz-und-Maus-Spiel nicht im Sinne der StPo und eines fairen Verfahrens sein, weshalb der Entscheid zu begrüssen ist!
@Beowulf: Du hast es nicht begriffen. Und sprich mich bitte nicht persönlich an, solange Du Dich nicht outest. Das ist nicht nur feige, sondern in erster Linie unanständig.
Thomas Held
@Beowulf: Ich teile Ihre Meinung nicht und erachte den Entscheid für falsch. Ihre Argumentation ist widersprüchlich. Gemäss Art. 128 StPO ist die Verteidigung in den Schranken von Gesetz und Standesregeln allein den Interessen der beschuldigten Person verpflichtet. Die Verteidigung trifft – unabhängig von der Frage, ob sie Organ der Rechtspflege ist oder nicht – gerade keine Pflicht, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Sie führen insoweit zutreffend aus, dass Aufgabe der Verteidigung ist, “belastende Elemente aus dem Weg zu räumen und entlastende Elemente zu schaffen”. Dieser Aufgabe kommt die Verteidigung nach, indem sie ein Beweisverwertungsverbot infolge fehlender Konforntation geltend macht. Würde die Verteidigung, wie von Ihnen gefordert, die Konfrontation verlangen, würde sie entgegen Ar. 128 StPO gearde keine belastenden Elemente aus dem Weg räumen, sondern diese erst porzessual zum Nachteil der beschuldigten Person verwertbar machen. Die beschuldigte Person/Verteidigung will ja gerade keine Beweiserhebung oder -ergänzung, sondern einen nicht prozesskonform erhobenen Beweis beseitigen. Dies zeigt den Widerspruch in Ihrer Argumentation auf. Auch wenn die beschuldigte Person ein Recht auf Beweiserhebungen hat, folgt daraus jedoch keine Pflicht, am Strafverfahren mitzuwirken und sich auch noch selbst zu belasten (Art. 113 Abs. 1 StPO). Dies erklärt, warum die Gerichte verpflichtet sind, nicht ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals abzunehmen (Art. 343 Abs. 2, Art. 389 Abs. 2 StPO).