Achtung, mailende Richter!

In Basel soll eine Frau ihren Konkubinatspartner B. zu töten versucht haben. In der anschliessenden Strafuntersuchung hatte der damals anwaltlich vertretene B. mehrfach das Desinteresse erklärt. Im Hauptverfahren hatte der zuständige Gerichtspräsident seine Bedenken und schrieb B. folgendes E-Mail:

“Die unterzeichneten Desinteresseerklärungen von Ihnen hat die Staatsanwaltschaft zwar zur Kenntnis genommen, aber angesichts des Vorgefallenen schliesslich nicht akzeptieren können. Versuchte Tötung ist ein schwerwiegendes Offizialdelikt, bei denen die Parteien nur eingeschränkt über das Strafverfahren selber bestimmen können. Bei dieser Ausgangslage muss es folglich zu einer Gerichtsverhandlung kommen, in welchem die Tatumstände genau angeschaut werden müssen. Ich bin daher der Ansicht, dass auch Sie als Zeuge/Opfer zu Wort kommen sollten, zumal Sie und die Beschuldigte, was die Tatumstände anbelangt, verschiedene Aussagen gemacht haben, und sie beide noch nie konfrontiert wurden. Ich beabsichtige deshalb, Sie als Zeuge zur Gerichtsverhandlung vorzuladen. 

Nun haben Sie mehrmals Ihr Desinteresse bekundet, aus welchem ich aber eine gewisse Ambivalenz spüre (zumal Sie sich am 27.04.22 von sich aus wieder bei der zuständigen Staat[s]anwältin gemeldet haben und diverse Fragen über das Verfahren stellten). Dies obwohl Sie am 23. Februar 2022 eine vom Anwalt der Beschuldigten vorgefertigte Erklärung unterzeichnet haben, wonach sie mit dem Strafverfahren nichts mehr zu tun haben wollen. Gleichzeitig erklärten Sie, dass Sie im Falle einer allfälligen künftigen Befragung die Aussagen konsequent verweigern würden. 

Nun hat sich die Situation insofern verändert, als tatsächlich Anklage erhoben wurde und der Vorfall zwingend gerichtlich aufgearbeitet werden muss. Aufgrund ihres ambivalenten Verhaltens und dieser neuen Situation frage ich mich, ob Sie daran festhalten, die Aussagen zu verweigern, was ich faktisch nicht verhindern könnte. Ich wäre froh, wenn Sie mir Bescheid geben könnten, wie Sie darüber denken. Sie sind nicht verpflichtet, an Ihrer Erklärung festzuhalten. Es würde mir bei der Planung der Verhandlung aber helfen. 

Zu Ihrer Information: Als Opfer haben Sie selbstverständlich das Recht, nur indirekt mit der Beschuldigten konfrontiert zu werden. D.h. Sie müssten nicht im selben Raum wie die Beschuldigte aussagen. Die Beschuldigte würde Sie nur über Video/Audio sehen und hören. Wenn Sie dies wünschen, bitte ich Sie mir Bescheid zu geben. Sie können sich diesbezüglich auch bei der Opferberatungsstelle kostenlos beraten lassen” (E. 4.3.1).

Das E-Mail wurde den Parteien nur indirekt zur Kenntnis gebracht, indem es in den umfangreichen Akten abgelegt wurde. Der Anwalt der Beschuldigten hat es natürlich entdeckt und ein Ausstandsbegehren eingereicht.

Wer wissen will, wie es ausging: BGer 7B_913/2023 vom 26.08.2024.