Akrobatik um den Betrugstatbestand
In der Gemeinde Mörel wurden Spendengelder für die Unwetterschäden aus dem Jahr 2000 für die Renovation eines nicht betroffenen Schulhauses missbraucht. Das Bundesgericht bestätigt in BGer 6B_683/2008 vom 02.04.2009 den Schuldspruch gegenüber der damaligen Gemeindepräsidentin von Mörel wegen mehrfachen Betrugs, konstruiert diesen aber ganz anders als die Vorinstanz:
Die von der Beschwerdeführerin arglistig getäuschten Mitglieder der Arbeitsgruppe haben dadurch, dass sie in täuschungsbedingter Unkenntnis der kleinen und mittleren Spenden im Gesamtbetrag von Fr. 193’611.45 eine unrichtige Schlussabrechnung erstellten und der “Glückskette” zukommen liessen, erstens nicht im Sinne des Betrugstatbestands eine Vermögensverfügung vorgenommen und zweitens schon gar nicht über das Vermögen der “Glückskette” verfügt, da sie darüber keine tatsächliche Verfügungsmöglichkeit hatten.
Vielmehr haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe durch die Zustellung der unrichtigen Schlussabrechnung unvorsätzlich die Organe der “Glückskette” getäuscht. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren damit unvorsätzlich handelnde Tatwerkzeuge der Beschwerdeführerin, welche selber keinen Kontakt mit der “Glückskette” hatte, aber in Kenntnis der Zusammenhänge in mittelbarer Täterschaft die Organe der “Glückskette” täuschte, worauf diese einen um Fr. 183’930.– zu hohen Beitrag an den Kanton zu Handen der Gemeinde auszahlte, womit die “Glückskette” eine Vermögensverfügung vornahm, durch welche sie sich selbst am Vermögen schädigte (E. 3.3.5).
Die Erwägungen des Bundesgerichts leuchten ein. Das grosse Fragezeichen, das mir bei der Lektüre erschienen ist, ist folgendes: Hat die Anklage den Lebensvorgang, welcher der dargestellten rechtlichen Würdigung des Bundesgerichts zu Grunde liegt, gedeckt?
Interessant unter dem Aspekt des Rügeprinzips ist übrigens auch folgende Feststellung des Bundesgerichts:
Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass sie in Bezug auf die Nichtdeklarierung der kleinen und mittleren Spenden im Gesamtbetrag von Fr. 193’611.45 selbst bei Bejahung einer arglistigen Täuschung nicht wegen Betrugs verurteilt werden dürfe, weil irgendein anderes Tatbestandsmerkmal von Art. 146 StGB nicht erfüllt sei. Die Frage ist indessen als Frage des eidgenössischen Gesetzesrechts von Amtes wegen zu prüfen, da die Beschwerdeführerin ihre Freisprechung beantragt (E. 3.3.1, Hervorhebungen durch mich).