Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten missachtet

Einige Kantone tun sich immer noch erstaunlich schwer, strafprozessuale Standards einzuhalten, die andernorts längst etabliert sind und zu keinerlei Problemen führen. So gibt der Kanton BL dem Bundesgericht immer wieder Gelegenheit, Entscheide über Fragen zu fällen, die andernorts gar nicht erst gestellt werden. Insofern sind die basellandschaftlichen Mühen durchaus verdankenswert.

Neustes Beispiel ist BGer 1B_171/2013 vom 11.06.2013). Die Vorinstanz hatte die Teilnahmerechte und die Akteneinsicht eines Beschuldigten im Zusammenhang mit einer Opfer-Videobefragung einschränken wollen. Das Bundesgericht stellt klar, dass die Auffassung der Staatsanwaltschaft unzutreffend ist und erklärt dem Kantonsgericht, welche gesetzlichen Grundlagen bei der Begründung des Entscheids zu beachten gewesen wären:

2.5. Das Video der ersten Einvernahme mit der Beschwerdegegnerin enthält Aussagen, die für den strafrechtlichen Vorwurf gegenüber dem Beschwerdeführer in verschiedener Hinsicht relevant sind. Dies betrifft nicht nur jene Passagen, in welchen direkt vom Beschwerdeführer die Rede ist. Dieser weist darauf hin, dass ihm beispielsweise nicht offengelegt worden sei, was die Beschwerdegegnerin auf die Frage geantwortet habe, inwiefern sich ihre sexuellen Kontakte zum Beschwerdeführer von jenen zum Beschuldigten des separaten Verfahrens unterschieden hätten. Das Aktendossier muss indessen alles enthalten, was mit dem Schuldvorwurf und der Strafzumessung in einen Zusammenhang gebracht werden kann ( …). Das Video ist mithin in seiner Gesamtheit zu den Akten des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer zu nehmen (Art. 100 Abs. 1 StPO). Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, der Beschwerdeführer sei lediglich als Dritter im Sinne von Art. 101 Abs. 3 StPO anzusehen, der Einsicht in die Akten eines gegen eine andere Person geführten Strafverfahrens verlange, ist somit nicht zutreffend. Der Beschwerdeführer muss deshalb auch kein besonderes Interesse im Sinn dieser Bestimmung nachweisen, um seinen Anspruch auf Akteneinsicht geltend zu machen. Ob sein grundsätzlich bestehendes Recht, Akten einzusehen (Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO), eingeschränkt werden darf, bestimmt sich vielmehr nach Art. 108 StPO.

 2.6. Das Kantonsgericht hat seinen Entscheid betreffend die Akteneinsicht nicht hinreichend begründet. Es lassen sich diesem weder die angewendeten Gesetzesbestimmungen entnehmen (vgl.Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG) noch, welche Gründe inwieweit eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs rechtfertigen. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird konkret und unter Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen zu prüfen haben, ob und inwiefern sich eine Einschränkung des Akteneinsichtsrechts rechtfertigt. Die Passagen des Videos der Einvernahme bzw. der Abschrift, welche nach ihrer Ansicht vom Einsichtsrecht auszunehmen sind, sind zu bezeichnen. Weiter ist nachArt. 108 Abs. 1 und 2 StPO zwischen der Partei selbst und ihrem Rechtsvertreter zu differenzieren. Auch in dieser Hinsicht ist eine allfällige Einschränkung des Akteneinsichtsrechts zu begründen. Rechtsbeiständen der Parteien werden schliesslich die Akten in der Regel zugestellt (Art. 102 Abs. 2 Satz 2 StPO). Soll davon ausnahmsweise abgesehen werden, ist dies ebenfalls zu begründen (vgl. dazu Urteil 1B_445/2012 vom 8. November 2012 E. 3).