Alkoholtestkäufe durch Jugendliche / Drogentestkäufe in St. Gallen

In einem Urteil des Kantonsgerichts BL sind  jugendliche Testkäufer als verdeckte Ermittler qualifiziert worden (KGE ZS vom 10.02. 2009). Gegen den daraus resultierenden Freispruch hat die zuständige Staatsanwaltschaft  dem Vernehmen nach Beschwerde ans Bundesgericht geführt. Das angefochtene Urteil setzt sich auch mit dem Kurzgutachten Jositsch auseinander (vgl. dazu einen früheren Beitrag), auf das sich auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beruft (vgl. dazu den heutigen Beitrag im Solothurner Tagblatt). Das Kurzgutachten wird vom Kantonsgericht aber als zu kurz entlarvt (folgende Links durch mich eingefügt):

2.3.2 In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, jugendliche Testkäufer fielen nicht unter das BVE (DANIEL JOSITSCH, Kurzgutachten über die Zulässigkeit von Testkäufen Jugendlicher, Zürich, 7. Juli 2008, 3 f., 6). Begründet wird dies damit, dass auch unter dem BVE zwischen dem sog. «einfachen Scheinkäufer» und dem verdeckten Ermittler zu unterscheiden sei. Dies sei in einem Urteil des Bundesgerichts (1B_123/2008 vom 2. Juni 2008) bestätigt worden (JOSITSCH, a.a.O., 3). Das angeführte Urteil des Bundesgerichts wurde indessen in einem Haftentlassungsverfahren gefällt und weist ausdrücklich darauf hin, dass die Frage der Verwertbarkeit von durch verdeckte Ermittlung (oder Scheinkäufern) erlangten Beweisen durch den Strafrichter zu beurteilen sei, nicht durch den Haftrichter (1B_123/2008, E. 2.4). Aufgrund einer vorläufigen Prüfung der Rechtslage gelangt es unter Berufung auf die Literatur (…) zum Schluss, die Zulässigkeit der Beweisverwertung sei keineswegs ausgeschlossen (1B_123/2008, E. 2.7). Zwei Wochen später erging BGE 134 IV 266, der sich zwar nicht mit dem erwähnten Urteil auseinander setzt, dafür aber ausführlich mit den dort zitierten und weiteren Lehrmeinungen (BGE 134 IV 266, 273 ff., E. 3.4-7). Gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts ist im Zweifelsfall davon auszugehen, dass jedes Anknüpfen von Kontakten mit einer verdächtigen Person zu Ermittlungszwecken durch einen nicht als solchen erkennbaren Polizeiangehörigen eine verdeckte Ermittlung im Sinne des BVE ist und unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Damit ist ein solches Anknüpfen von Kontakten, unabhängig von der Täuschungs- oder Eingriffsintensität des polizeilichen Vorgehens, nur unter den im BVE genannten Voraussetzungen zulässig (BGE 134 IV 266, 277, E. 3.7). Im Sinne dieses Entscheides ist somit davon auszugehen, dass grundsätzlich auch der Scheinkäufer als verdeckter Ermittler gemäss BVE angesehen werden kann.

Zu den im Kanton St. Gallen praktizierten Drogenscheinkäufen durch Polizisten vgl. den Entscheid der Anklagekammer ALK.2009.60 vom 25.02.2009. Die Anklagekammer kam zum Schluss, dass keine verdeckte Ermittlung vorliege. Dabei kam sie allerdings nicht umhin, das Bundesgericht zu belehren und dessen publizierten Entscheid über Gebühr umzuinterpretieren. Die Anklagekammer äusserte sich dann auch noch zu den Alkohol-Testkäufen, die es mit einem schlicht und einfach falschen Argument als blosse Scheinkäufe qualifizierte:

Testkäufe von Alkohol durch Jugendliche bildeten nicht Gegenstand des Entscheids des Anklagekammerpräsidiums vom 16. Juni 2003. Sie fallen nicht in die Zuständigkeit des Anklagekammerpräsidiums, da es sich bei den Testkäufern nicht um Angehörige eines Polizeikorps i.S. von Art. 5 Abs. 2 BVE handelt.

Übersehen hat die Anklagekammer dabei BGE 124 IV 34, 41 f., E. 3d, der in St. Gallen bestens bekannt ist und von ihr sogar ausdrücklich zitiert wurde:

Überschreitet ein V-Mann die Grenzen der zulässigen Einwirkung auf die Zielpersonen, ist der Verstoss den jeweils zuständigen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls dann zuzurechnen, wenn der agent provocateur in seiner Eigenschaft als polizeilicher V-Mann handelt (…).

Das Bundesgericht hält vom Einsatz des “agent provocateur” im zuletzt zitierten Entscheid wenig:

Eine solche Fahndungsmethode ist unredlich, verstösst gegen den das ganze öffentliche Recht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismässigkeit (…) sowie gegen die sich aus Art. 4 BVArt. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 Uno-Pakt II (…) ergebende Maxime der Fairness bzw. des gerechten Verfahrens (…) und ist deshalb rechtswidrig.

Genau das ist auch von den Alkoholtestkäufen zu halten. Sie sind – je nach Ablauf – rechtswidrig.