Alles anders in Basel
Die Staatsanwaltschaft BS ordnete die erkennungsdienstliche Erfassung („Feststellung Körpermerkmale und Herstellung Abdrücke von Körperteilen“; vgl. Art. 260 StPO) einer beschuldigten Person an. Dagegen führte sie erfolglos Beschwerde beim Appellationsgericht. Es folgte eine Beschwerde an das Bundesgericht und zeitgleich ein „Wiedererwägungsgesuch“ an das Appellationsgericht. Das Bundesgericht hat das bei ihm hängige Verfahren bis zum Entscheid über das Wiedererwägungsgesuch sistiert.
In der Folge hat das Appellationsgericht das Wiedererwägungsgesuch abgewiesen, obwohl es zugesteht, es habe den in Wiedererwägung zu ziehenden Entscheid auf falsche Prämissen abgestützt. Die zu beurteilende erkennungsdienstliche Erfassung erweise sich aber trotz des Wegfalls von zwei Vorstrafen „immer noch knapp als verhältnismässig“.
Damit lag der Ball wieder beim Bundesgericht zur Behandlung der Beschwerde gegen den ursprünglichen Entscheid des Appellationsgerichts, der von Letzterem ja bereits in Wiedererwägung gezogen wurde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut (BGer 7B_302/2023 vom 17.09.2023). Es prüft dabei die Frage nach der Wirkung des Wiedererwägungsentscheids des Appellationsgerichts und stellt fest, dieser sei nichtig:
Der Rechtsbehelf der Wiedererwägung ist in der eidgenössischen Strafprozessordnung nicht ausdrücklich vorgesehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Wiedererwägung dessen ungeachtet zulässig sein kann, braucht vorliegend indessen nicht abschliessend geklärt zu werden (vgl. Urteil 1B_74/2022 vom 20. Mai 2022 E. 3.3 mit Hinweisen). Mit der Beschwerde an das Bundesgericht verliert die Vorinstanz nämlich die Herrschaft über den Streitgegenstand und ist entsprechend nicht mehr befugt, darüber zu verfügen (siehe Urteile 9C_481/2021 vom 9. Januar 2023 E. 1.4; 2C_229/2008 vom 13. Oktober 2008 E. 2). Demnach hat die Vorinstanz ihre funktionale Zuständigkeit überschritten, wenn sie ungeachtet des hängigen bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens mit Entscheid vom 22. November 2023 den angefochtenen Entscheid in Wiederwägung gezogen hat. Ihr Entscheid ist daher als nichtig zu betrachten und im vorliegenden Verfahren als Antrag der Vorinstanz auf Gutheissung der Beschwerde entgegenzunehmen (vgl. Urteil 9C_481/2021 vom 9. Januar 2023 E. 1.4 mit Hinweisen) [E. 3.1, Hervorhebungen durch mich].
Bei dieser Erwägung sei die Frage erlaubt, wieso denn das Bundesgericht das Verfahren bis zum (ohnehin nichtigen) Wiedererwägungsentscheid des Appellationsgerichts überhaupt sistiert hat.
Mit der Feststellung der Nichtigkeit löst das Bundesgericht jedenfalls mindestens zwei Probleme. Es musste erstens wiederum nicht über die Zulässigkeit der (gesetzlich nicht vorgesehenen) Wiedererwägung entscheiden und konnte zweitens einen Entscheid beurteilen, der gar nicht Anfechtungsobjekt war. Zudem konnte es die Beschwerde gegen den ursprünglichen Entscheid gutheissen, denn allein dieser war ja das Anfechtungsobjekt der BGG-Beschwerde. Gutgeheissen wurde die Beschwerde, weil der Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt worden war. Das wissen wir, weil im nichtigen Wiedererwägungsentscheid vermerkt wurde, dass sich das Anfechtungsobjekt auf falsche Prämissen stützte (Novenverbot?).
Das Ganze ist nun natürlich nicht entschieden, sondern geht zurück nach Basel. Dort wird das Appellationsgericht ein drittes Mal über dieselbe erkennungsdienstliche Erfassung entscheiden müssen, diesmal aber – zum zweiten Mal – gestützt auf die richtigen Prämissen, die am Ergebnis ja aber nichts ändern, was wir ja aufgrund des nichtigen Wiedererwägungsentscheids bereits wissen. Das Appellationsgericht wird daher wiederum feststellen, die angefochtene erkennungsdienstliche Erfassung sei noch „knapp verhältnismässig“. Mit „knapp“ bringt das Gericht aber letztlich zum Ausdruck, dass die Erfassung eben gerade nicht verhältnismässig ist. Es sollte daher zugunsten des Beschwerdeführers entscheiden und den unsäglichen Fall endgültig erledigen. Basel wird es ihm danken.
Täusch ich mich, oder scheint das Appellationsgericht BS ziemlich oft in der Bredouille zu sein?