Ältere Herren zu neuen Gesetzen

Im heute publizierten Jusletter ist ein interessanter Beitrag erschienen: Dr. Rudolf Montanari, Der neue AT StGB – erste Erfahrungen in der Praxis, leicht modifizierter Vortrag vom 11. März 2008 vor dem Solothurnischen Juristenverein, in: Jusletter vom 19.05.2008. Montanari äussert sich gegenüber dem neuen Recht, das ihm zu mild erscheint, sehr skeptisch.

Abgesehen davon, dass es reichlich früh für eine solch negative Bilanz ist, scheint der Autor die Möglichkeiten des neuen Rechts und insbesondere auch die Fähigkeiten seiner Richterkollegen zu unterschätzen. Letztere haben bewiesen, dass auch mit den neuen Instrumenten verständliche (und durchaus harte) Urteile gefällt werden können. Was der Autor hingegen überschätzt ist die generalpräventive Wirkung von Strafnormen.

Geradezu abwegig erscheint, dass der Autor ausgerechnet der Schweiz eine Strafphobie unterstellt, wo doch hier die Strafnormen wie Pilze aus dem Boden schiessen und dieses Land u.a. mangels Diversion führend darin ist, immer neue Verhaltensweisen zu pönalisieren und ganze Bevölkerungsteile (insbesondere die erwachsene männliche Bevölkerung) zu kriminalisieren.

Hier zwei Auszüge aus dem Artikel, die mich besonders geärgert haben:

Für Rechtsanwälte sind rosige Zeiten angebrochen. Ihnen wird es nicht schwerfallen, aus der Wundertüte des strafrechtlichen Angebots klientendienliche Verteidigungsstrategien zu zimmern. Den Staatsanwälten dagegen wird das weicher gewordene Strafgesetz zu schaffen machen. Als öffentliche Ankläger werden sie zunehmend gegen die Wand der bedingten oder teilbedingten Strafe anrennen und dabei mehr Frust als Lust erleben (Rz 65).
Die Revision hat die Bedeutung der Strafe und damit auch ihre Wirkung erheblich geschwächt. Man gewinnt den Eindruck, als scheue der Gesetzgeber die Vollstreckung mehr als der Beschuldigte. Diese Strafphobie zwingt die Gerichte zu einer Praxis, die im Bereich der leichten und mittleren Kriminalität derart täterfreundlich ist, dass sie in der Bevölkerung immer weniger verstanden wird und manchmal nur noch Kopfschütteln auslöst. Die Strafrichter sind nicht zu beneiden, denn sie werden für eine Rechtsprechung verantwortlich gemacht werden, die quer zum aktuellen Zeitgeist steht (Rz 67).
Zum ganzen deutlich reflektierter und differenzierter hat sich kürzlich Niklaus Oberholzer geäussert: Zwischen “Kopf ab” und “Händchen halten” – von den neueren Entwicklungen im Strafrecht und Strafprozessrecht, forumpoenale 1/2008, 46 ff.
Wie der Beitrag von Montanari einzuordnen ist, erklärt der Autor mit seinem Schlusssatz gleich selbst:
Der Vergleich des neuen mit dem alten Recht fällt aus meiner Sicht zu Gunsten des Letzteren aus. Nun ist es ausser Kraft gesetzt – und ich teile sein Schicksal. Wir haben zusammen eine lange Wegstrecke zurückgelegt; das verbindet. Aus diesem Grunde sollte man vielleicht die Kommentierung neuer Gesetze nicht älteren Herren übertragen (Rz 72).