Amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren
Nach der sachlich unhaltbaren Rechtsprechung des Bundesgerichts erstreckt sich die notwendige Verteidigung nicht auf Beschwerdeverfahren. Das ist deshalb verfehlt, weil sich aus dem Gesetz das Gegenteil ergibt und weil es die wirksame Verteidigung infrage stellt. Entsprechend neigen die kantonalen Beschwerdeinstanzen dazu, die amtliche Verteidigung bzw. die unentgeltliche Rechtspflege (!) im Beschwerdeverfahren wegen angeblicher Aussichtslosigkeit zu verweigern mit der Folge, dass die Verteidiger auf ihren Kosten sitzen bleiben. In einem heute veröffentlichten Entscheid hat das Bundesgericht die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts korrigiert. Diese hatte zu Unrecht auf Aussichtslosigkeit einer Haftbeschwerde erkannt (BGer 7B_485/2023 vom 11.09.2023):
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann die kantonale Beschwerde nicht als aussichtslos qualifiziert werden: Wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, stützt sich die Vorinstanz bei der Bejahung des dringenden Tatverdachts unter anderem auch auf Akten, welche die Bundesanwaltschaft erst nach Einreichung seiner kantonalen Beschwerde ins Recht gelegt hat. Die Vorinstanz erachtet den dringenden Tatverdacht zudem lediglich “auf dem gegenwärtigen Stand der Untersuchung noch” als gegeben und bejaht den allgemeinen Haftgrund demnach nur mit einer gewissen Zurückhaltung. Bei dieser Sachlage hätte sie das Gesuch um amtliche Verteidigung bzw. unentgeltliche Rechtspflege nicht wegen Aussichtslosigkeit abweisen dürfen. Indem sie dies tat, verletzte sie Bundesrecht (E. 4.4).
Das ändert aber nichts daran, dass der Beschwerdeführer in Haft bleibt, nachträglich ins Recht gelegte Akten hin oder her.
“Das ändert aber nichts daran, dass der Beschwerdeführer in Haft bleibt, nachträglich ins Recht gelegte Akten hin oder her.” – Selbstverständlich! Was spielt denn der Einreichungszeitpunkt für die Aktenlage im Zeitpunkt der Meinungsbildung des Gerichts für eine Rolle???
Mich nähme wunder, weshalb die rechtsprechung sachlich unhaltbar sein soll und dem gesetz widerspricht…
@Notwendige Verteidigung: weil die StPO auch das StPO-Beschwerdeverfahren umfasst und weil Verteidigung ohne Rechtsmittel nicht wirksam sein kann. Zudem ist notwendige Verteidigung nicht von den finanziellen Möglichkeiten abhängig.
Man kann ja rechtsmittel ergreifen, sie dürfen einfach nicht aussichtslos sein. Ich bin einig, dass der massstab dafür nicht zu streng sein darf, insbesondere bei schweren eingriffen. Aber dass aussichtslose rechtsmittel von der staatlich finanzierten rechtsvertretung ausgeschlossen sind, halte ich weder für sachlich unhaltbar noch für stpo-widrig.
@Notwendige Verteidigung: Kompromiss (es gibt ja eigentlich keine Kompromisse bei der Anwendung des Rechts) könnte sein, dass man nicht entschädigt, wenn nicht eingetreten werden kann. Ist jetzt aber nicht durchdacht. Andere Variante: Nur was trölerisch ist, wird nicht entschädigt. Richtig bleibt aber, dass entschädigt werden muss. Es gibt bekanntlich auch Beschwerden, die man aus bestens begründbaren taktischen Gründen einlegt, obwohl der amtliche Verteidiger selbst davon ausgeht, sie werden abgewiesen. Strafverteidigung ist halt schon ein bisschen komplexer, als viele glauben.
Nein nein ein Gericht vorallem das Erstinstanzliche hat ja schon das päpstliche Dogma der Unfehlbarkeit, daher unterbricht es, wenn auch noch so falsch die Verjährung. Wenn nun ein Stinkmaul das Dogma der Unfehlbarkeit anzweifelt und damit Gott den allmächtigen in Frage stellt ist das immer Aussichtslos, völlig klar. Allzu weit von ser Inquisition sind wir halt nicht entfertn im „Möchtegern Rechtstaat“
@kj. Nota bene: aussichtslos heisst ja nicht, dass das rechtsmittel einfach erfolglos war. Es muss schon klar chancenlos sein und zwar von beginn an. Sofern man annimmt, dass es überhaupt so etwas wie aussichtslose rechtsmittel gibt (was ich tue und Sie, glaube ich, auch nicht abstreiten), sind sie nicht zu finanzieren. Was als aussichtslos zu gelten hat, darüber kann man unterschiedlicher ansicht sein. Dass verteidigung komplex ist und auch rechtsmittel aus taktischen gründen erhoben werden, glaube ich Ihnen. Aber ich nehme an, dass rein aus taktischen gründen erhobene rechtsmittel dann auch nicht wahnsinnig viel aufwand verursachen (gerade weil ja dann die nicht entschädigung droht ;;-))… und wie soll das gericht überhaupt erkennen, ob ein verteidiger aus taktischen gründen prozessiert oder einfach eine null ist? Beurteilt wird halt einfach das objektiv fassbare und das ist die eingereichte rechtsmitteleingabe. Und wenn die dann halt objektiv betrachtet habakuk ist, dann ist sie eben aussichtslos…
@Notwendige verteidigung: man könnte ja auch einfach darauf vertrauen, dass ein amtlicher Verteidiger weiss was er tut, zumal er viel weniger geneigt ist, seinem Mandanten, der ihn ja nicht einfach feuern kann, zu gefallen. Wenn ein Staatsanwalt oder ein Richter einen offensichtlichen Unsinn verfügt und kassiert wird, wird ihm der Lohn auch nicht verweigert.
@kj. Ok, vielleicht haben Sie einen bedenkenswerten punkt, obwohl das mit dem vertrauen so eine sache ist… man könnte derlei überlegungen auch beim massstab der aussichtslosigkeit einbeziehen, d.h. im bewusstsein der mitunter auch rein taktischen vorgehensweise den massstab eben nicht zu hoch legen.
Weil etwas, das AUSSICHTSLOS ist, ganz offensichtlich auch NOTWENDIG ist. Aussichtslose Beschwerden sind ganz wichtig für das chronisch überlastete Justizsystem, sonst wären wir alle arbeitslos. Wäre ein Rechtsmittel hingegen aussichtsreich, dann wäre es logischerweise auch nicht notwendig. Denn dann ist man ja schon im Recht.
Darum muss der Staat möglichst viele aussichtslose Beschwerden finanzieren. Ansonsten würden die chronisch überlasteten Anwälte, denen schon immer so böse Termine kurzfristig angesetzt werden, auch arbeitslos. Alles völlig logisch.
@HerrÜberflüssig: Hoffentlich haben Sie für diesen wahrlich geistreichen Kommentar nicht zu viel Ihrer kostbaren Arbeitszeit verwendet.
Aussichtslos sind Gerichtsverfahren ja nie, man kann noch so im Recht sein oder eben nicht in trotzdem gewinnen oder verlieren, die Behauptung Verfahren wären aussichtlos ist den auch nur eine Vorverurteilung ohne sich mit der Sache auseinandersetzen zu wollen, es ist reine Willkür.