Amtliche Verteidigung im Kanton Aargau

Dass der Kanton Aargau das Institut der (amtlichen) Verteidigung zu bekämpfen scheint, wurde hier schon mehrfach angedeutet. Das Bundesgericht kassiert nun erneut ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, das einem Beschuldigten den Anspruch auf amtliche Verteidigung in bundesrechtswidriger Weise abgesprochen hatte (BGer 1B_23/2016 vom 08.02.2016).

Das Bundesgericht rekapituliert seine drei Fallgruppen (besonders schwerer Fall, kein besonders schwerer Fall, offensichtliches Bagatelldelikt):

Falls das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift, ist die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistands grundsätzlich geboten. Dies trifft namentlich dann zu, wenn dem Angeschuldigten eine Strafe droht, deren Dauer die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ausschliesst. Falls kein besonders schwerer Eingriff in die Rechte des Gesuchstellers droht (sog. relativ schwerer Fall), müssen besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller, auf sich allein gestellt, nicht gewachsen wäre. Das Bundesgericht hat einen relativ schweren Fall etwa bei einer Strafdrohung von drei Monaten Gefängnis unbedingt (BGE 115 Ia 103 E. 4 S. 105 f.), bei einer “empfindlichen Strafe von jedenfalls mehreren Monaten Gefängnis” (BGE 120 Ia 43 E. 3c S. 47) oder bei der Einsprache gegen einen Strafbefehl von 40 Tagen Gefängnis bedingt (Urteil 1P.627/2002 vom 4. März 2003 E. 3.2, in: Pra 2004 Nr. 1 S. 1) angenommen. Bei offensichtlichen Bagatelldelikten, bei denen nur eine Busse oder eine geringfügige Freiheitsstrafe in Frage kommt, verneint die Bundesgerichtspraxis einen verfassungsmässigen Anspruch auf einen amtlichen Rechtsbeistand (vgl. auch das zuletzt zitierte Urteil, wonach offen bleiben kann, ob bei Vergehen der Bagatellcharakter des Delikts generell verneint werden soll; zum Ganzen: BGE 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f.; 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232 f.; Urteile 1B_380/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 2.4; 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 1, in: Pra 2015 Nr. 107 S. 872; je mit Hinweisen) [E. 2.4, Hervorhebungen durch mich].

Im zu beurteilenden Fall lag der mittlere Fall (der relativ schwere Fall) vor. Dabei addiert das Bundesgericht verschiedene Sanktionen, was es sonst ja eigentlich abzulehnen scheint:

Würde im vorliegenden Fall die in den Strafbefehlen ausgesprochene Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen Haft umgewandelt und an die (bedingt ausgesprochenen) 120 Tagessätze der Geldstrafe angerechnet, lägen die daraus resultierenden 150 Tage bzw. Tagessätze deutlich über der in Art. 132 Abs. 3 StPO genannten Schwelle [E. 2.6].

Das Bundesgericht entscheidet reformatorisch und setzt den Anwalt gleich selbst als amtlichen Verteidiger ein.