Amtliche Verteidigung im Thurgau
Amtliche Verteidiger essen im Kanton Thurgau hartes Brot. Das Bundesgericht hat heute ein Urteil publiziert, in dem es sich bereits zum zweiten Mal zu einer Honorarkürzung im selben Verfahren äussern musste (BGer 6B_498/2016 vom 14.12.2016; vgl. dazu meinen früheren Beitrag).
Obwohl die Vorinstanz bereits einmal hatte korrigiert werden müssen, hielt sie es offenbar nicht für nötig, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu konsultieren und weigerte sich, die Teilnahme des amtlichen Verteidigers bei Einvernahmen zu entschädigen:
Die Vorinstanz kürzte diesen um 20.75 Stunden. Sie erwägt, dass die Teilnahme des amtlichen Verteidigers an verschiedenen Einvernahmen nicht erforderlich gewesen sei, zumal die beschuldigte Person die Aussage verweigert habe. Es sei sowohl dem amtlichen Verteidiger als auch dem Beschuldigten zuzumuten, sich über die Verteidigungsstrategie vor den Einvernahmen auszutauschen. Wolle der Beschuldigte sein Aussageverhalten ändern, müsse er auf anwaltlichen Beistand nicht verzichten. Es sei ihm zuzumuten, zu erklären, er wolle aussagen, sobald sein Verteidiger anwesend sei; in diesem Fall sei ein neuer Einvernahmetermin anzusetzen. Hinsichtlich der Befragungen von B. und C. hält die Vorinstanz fest, dass es dem Beschuldigten klar gewesen sein musste, dass diese Personen nichts zu berichten hatten. Der Verteidiger hätte sich bei seinem Klienten darüber kundig machen können und seine Anwesenheit sei nicht erforderlich gewesen (E. 1.1).
Das Bundesgericht verwirft diesen Standpunkt, indem es auf seine publizierte Rechtsprechung und die “Obliegenheiten” eines Verteidigers verweist, die man ruhig auch als Berufspflicht hätte bezeichnen können:
Soweit sie jedoch argumentiert, dass es seitens des amtlichen Verteidigers nicht notwendig gewesen sei, an allen Einvernahmen teilzunehmen, da der Beschuldigte die Aussage verweigert habe, ist ihr nicht zu folgen. Es gehört zweifelsfrei zu den Obliegenheiten eines amtlichen Verteidigers, das rechtliche Gehör seines Mandanten vollumfänglich zu wahren. Er ist zu diesem Zwecke grundsätzlich berechtigt, an allen Einvernahmen teilzunehmen, selbst wenn der Beschuldigte wie vorliegend die Aussage verweigert (BGE 118 Ia 133 E. 2d). Die Verweigerung einer Entschädigung für die Teilnahme an Einvernahmen ist daher unzulässig (E. 1.4).
Dass ein Verteidiger nicht nötig sei, wenn ein Beschuldigter die Aussage verweigere, glauben wohl jene, die die Arbeit des Strafverteidigers kaum aus eigener Erfahrung kennen. Die allermeisten Beschuldigten meinen, sich mit Schweigen zu schaden und fallen auf Fragetricks herein, die sie zum Reden bringen. Die Taktik, an einer Einvernahme keine Fragen zu beantworten, braucht Stehvermögen, das vorher mit dem Mandanten zu trainieren ist und mit der Präsenz der Verteidigung während der Einvernahme zu erhalten ist. Schon eher verzichtbar wäre die Präsenz der Verteidigung bei einem Beschuldigten, der reden will. Dort muss der Verteidiger meist nur überwachen, dass die Befragung korrekt erfolgt und richtig protokolliert wird. Ebenso unverzichtbar wie beim schweigenden Beschuldigten ist die Präsenz der Verteidigung, wo potentielle Belastungspersonen befragt werden. Denn dort werden neben dem ergänzenden Erfragen von Entlastendem auch noch (vorher vorbereitete) Testfragen wichtig, um aufzudecken, ob der Befragte tatsächlich die Wahrheit oder ein Märchen erzählt. Voraussetzung dafür ist, dass die Verteidigung wirklich alle Akten kennt und den gleichen Wissensstand hat wie die einvernehmende Person.