Amtliche Verteidigung in “einfachen” Fällen
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft äussert sich in einem Beschluss vom 24.10.2011 zu den Voraussetzungen der amtlichen Verteidigung in “einfachen” Fällen. Zur zweiten Voraussetzung nach (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO (Verteidigung zur Wahrung der Interessen geboten) stellt es fest:
Der geschilderte Sachverhalt erscheint einfach und weitgehend klar. Dennoch gibt es im vorliegenden Straffall diverse Schwierigkeiten, welche für die Bestellung einer amtlichen Verteidigung sprechen. Zum einen hat der Beschwerdeführer – in Anbetracht, dass er von der Teilnahme an der Befragung der Privatklägerin ausgeschlossen wurde – das Recht, nachträglich Ergänzungsfragen zu stellen. Dazu wird er selber ohne anwaltliehe Vertretung voraussichtlich kaum in der Lage sein […]. Zum anderen wurde – wie erwähnt – im vorliegenden Fall ein rechtsmedizinisches Gutachten erstellt. Gemäss Art. 184 Abs. 3 StPO gibt die Verfahrensleitung den Parteien vorgängig Gelegenheit, sich zur sachverständigen Person und zu den Fragen zu äussern sowie eigene Anträge zu stellen. Soweit aus den Akten ersichtlich
ist, wurde dem Beschwerdeführer diese Gelegenheit nicht eingeräumt. Gemäss Art. 188 StPO stellt die Verfahrensleitung den Parteien das Gutachten zu und setzt ihnen Frist zur Stellungnahme. Der Beschwerdeführer ist auch für die Geltendmachung dieser Rechte auf eine Verteidigung angewiesen. Zu guter Letzt ist hier darauf hinzuweisen, dass die Privatklägerin – wie sich aus den Akten resp. aus dem Schreiben ihrer Anwältin vom 3. Juni 2011 ergibt – selber anwaltlich vertreten wird. Die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers ist daher im vorliegenden Fall auch aus Gründen der Waffengleichheit geboten (E. 5.2).
Der Beschluss liegt auf der Linie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (s. dazu meine früheren Beiträge hier und hier). Aus dieser Rechtsprechung geht immer klarer hervor, dass ausserhalb des eigentlichen Bagatellstrafbereichs (Art. 132 Abs. 3 StPO) praktisch keine Fälle vorstellbar sind, die eine Verteidigung nicht für geboten erscheinen lassen.
Noch zu wenig durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, dass die Verteidigung “unverzüglich” (Art. 131 Abs. 1 StPO) zu bestellen ist. Auch dazu äussert sich der Beschluss:
Zwecks Gewährleistung eines fairen und waffengleichen Verfahrens und unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots erscheint es angezeigt, dass auch in einem solchen Fall in analoger Anwendung von Art. 131 Abs. 1 StPO die amtliche Verteidigung unverzüglich bestellt resp . über einen diesbezüglichen Antrag unverzüglich entschieden wird (vgl. dazu HAEFELIN, Die amtliche Verteidigung im schweizerischen Strafprozess, Diss., Zürich 2010, S. 281 ff.).