Amtliches Gutachten oder Parteigutachten?
Eine Vollzugsbehörde hat ein von ihr bestelltes Vollzugsgutachten als “Parteigutachten” bezeichnet, Vielleicht war diese Bezeichnung einfach ehrlich und sachgerecht.
Das Bundesgericht erklärt sie dagegen zum offensichtlichen unbedarften Lapsus (BGer 6B_338/2018 vom 22.05.2018):
Seltsam mutet hingegen die Zurückweisung der Intervention des Beschwerdeführers durch das AJV mit dem Argument “Parteigutachten” an. Selbst wenn das Gutachten als Vollzugsgutachten für den “internen Gebrauch” zunächst vorgesehen gewesen sein sollte, geht die Bezeichnung fehl. Eine Vollzugsbehörde bestellt ein amtliches und kein “Parteigutachten”. Das Argument kontrastiert denn auch unvereinbar mit der Verpflichtung der Gutachterin auf Art. 307 und 320 StGB. Es handelt sich um einen offenkundig unbedarften Lapsus, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Dem Beschwerdeführer erwuchs daraus kein Nachteil. Das rechtliche Gehör wurde gewährt, indem er informiert wurde und sich gegenüber dem AJV äussern und seine Einwände im Administrativverfahren wie im Nachverfahren mehreren Instanzen vortragen konnte (vgl. auch Urteil 6B_799/2017 vom 20. Dezember 2017 E. 3.4) [E. 2.1].
Wertvoll ist der Entscheid für die Zusammenfassung der Kadusic-Rechtsprechung des EGMR (EGMR, AFFAIRE KADUSIC C. SUISSE, Req No. 43977 vom 09.01.2018; vgl. dazu auch den ebenfalls heute publizierten Revisionsentscheid BGer 6F_8/2018 vom 22.05.2018):
Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK verlangt einen hinreichenden kausalen und nicht bloss chronologischen Zusammenhang zwischen Strafurteil und Freiheitsentzug. Gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ist ein Freiheitsentzug gerechtfertigt, wenn dieser notwendig ist, um die Begehung neuer Straftaten zu verhindern (Urteil Kadusic [oben E. 2.2.2], Ziff. 39-41). Bei “psychisch Kranken” als solchen ist der Freiheitsentzug unter dem Titel von Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK unter drei Bedingungen zulässig: die psychische Störung muss beweismässig erstellt sein, der Freiheitsentzug muss durch den Charakter oder den Schweregrad der Störung legitimiert sein und der Freiheitsentzug darf nur bei persistierender Störung aufrecht erhalten bleiben (Urteil Kadusic Ziff. 42). Die Störung muss durch einen medizinischen Experten erstellt werden, das Gutachten muss genügend aktuell sein und der Freiheitsentzug muss in einer geeigneten Einrichtung durchgeführt werden (Urteil Kadusic Ziff. 43-45). Der strafrechtliche massnahmenrechtliche Freiheitsentzug erfordert somit die Bejahung der drei Voraussetzungen gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. a, c und e EMRK (E. 2.2.6).
Wenn diese Rechtsprechung jetzt noch konsequent angewendet wird, hätten wir etwas mehr Ordnung im Massnahmenrecht.