Amtsbericht oder Gutachten?

Im Zusammenhang mit dem Bergsturz im Jahr 2017 im Bondascatal muss das Strafverfahren weitergeführt werden. Die Bündner Behörden wollten es einstellen, ohne die Ausstandsvorschriften von Art. 56 StPO zu beachten, die auch für Gutachter gelten und zwar auch dann, wenn das Gutachten bloss als Amtsbericht bezeichnet wird (BGer 6B_235/2020 vom 01.02.2021). Im vorliegenden Fall haben am Amtsbericht, der eigentlich ein Gutachten war, das unter Umgehung derVorschriften von Art. 182 ff. StPO erstellt wurde, mehrere Personen mitgewirkt, die als beschuldigte Personen infrage kommen.

Dem Bericht des AWN kommt zwar teilweise die Qualität eines Amtsberichts zu. Er geht stellenweise aber auch darüber hinaus, nimmt die Beantwortung der Frage der Vorhersehbarkeit des Ereignisses doch mehrere Seiten ein. Diese Beurteilung erforderte zweifellos Fachwissen und das AWN übte diesbezüglich ein gewisses Beurteilungsermessen aus. Der Bericht geht damit über reine Feststellungen von Beamten hinaus. Umfang und Tragweite des Berichts kommen demjenigen eines Sachverständigengutachtens im Sinne von Art. 182 ff. StPO gleich. Die Staatsanwaltschaft gab mit der Einholung des Berichts beim AWN in Verbindung mit den an dieses gerichteten Fragen zu erkennen, dass sie nicht über das notwendige Fachwissen zur Beurteilung der Sachlage verfügt und ein Gutachten für erforderlich hält. Damit waren allerdings auch die Vorschriften zur Einholung eines Gutachtens gemäss Art. 182 ff. StPO zu beachten, wozu insbesondere auch die Ausstandsvorschriften von Art. 56 StPO sowie verschiedene Mitwirkungsrechte der Parteien zählen. Jedenfalls dürfen die formellen Vorschriften zur Einholung eines Gutachtens nicht umgangen werden, indem auf die Einholung eines förmlichen Gutachtens verzichtet wird. Da beim Bericht des AWN mehrere Personen mitgewirkt haben, die als Beschuldigte im vorliegenden Verfahren in Frage kommen, wäre eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Ausstandsproblematik erforderlich gewesen. Es ist daher eingehender zu prüfen, ob auf den Bericht des AWN ohne Weiteres abgestellt werden kann. Hierzu hat sich weder die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung noch die Vorinstanz geäussert. Entsprechend wird dies nachzuholen sein (E. 2.6.2). 

Dem Entscheid nicht entnehmen konnte ich die Frage, wann die Privatkläger den Ausstandsgrund erstmals vorgetragen haben. Aber es gibt noch andere Fragen, die dieser Entscheid aufwirft.