Anforderungen an die Aktenführung

Heute erlaube ich mir einen Hinweis auf einen nicht mehr ganz tagesaktuellen Entscheid des Appellationsgerichts BS, der aber für die Praxis der Strafverfolgungsbehörden leider weiterhin von hervorragender Bedeutung ist (AppGer BS BES.2021.92 vom 15.12.2021). Es geht um die gesetzlich vorgeschriebene Aktenführung, welche viele Staatsanwaltschaften unter Hinweis auf angebliche praktische oder technische Probleme verweigern.

Das ganze ist immer und immer wieder Thema zwischen Strafverfolgern und Strafverteidigern und war auch schon Thema hier. Es wäre wirklich hilfreich, wenn man dieses Dauerthema endlich ad acta legen könnte. Strafverfolger, die ihre Dossiers nach den Vorschriften führen, haben ja nicht zu befürchten, nicht einmal einen Mehraufwand, was der Entscheid auch darlegt:

3.
Der Beschwerdeführer begründet den ersten Punkt seiner Rechtsverweigerungsbeschwerde damit, dass ihm die Staatsanwaltschaft die Aushändigung eines Verfahrensprotokolls gemäss Art. 77 StPO verweigere oder eventualiter ein solches gar noch nicht erstellt worden sei.
 
Die Staatsanwaltschaft ist hingegen der Ansicht, dass sie nicht verpflichtet sei, sämtliche Verfahrensschritte in einem fortlaufenden Protokoll zu erfassen. Sie verweist vielmehr auf das Aktenverzeichnis, das sämtliche Verfahrenshandlungen zusammenfasse und Auskunft darüber gebe, was in den Akten wo zu finden sei.
 
3.1      Die Verfahrensprotokolle halten gemäss Art. 77 StPO alle wesentlichen Verfahrenshandlungen fest und geben unter anderem Auskunft über Art, Ort, Datum und Zeit der Verfahrenshandlungen (lit. a), die Namen der mitwirkenden Behördenmitglieder, der Parteien, ihrer Rechtsbeistände sowie der weiteren anwesenden Personen (lit. b), die Anträge der Parteien (lit. c), die Belehrung über die Rechte und Pflichten der einvernommenen Personen (lit. d), die Aussagen der einvernommenen Personen (lit. e), den Ablauf des Verfahrens, die von der Strafbehörde getroffenen Anordnungen sowie die Beachtung der für die einzelnen Verfahrenshandlungen vorgesehenen Formvorschriften (lit. f), die von den Verfahrensbeteiligten eingereichten oder im Strafverfahren sonst wie beschafften Akten und anderen Beweisstücke (lit. g), die Entscheide und deren Begründung, soweit diese den Akten nicht in separater Ausfertigung beigelegt werden (lit. h). Die Vorschriften über die Protokollierung gelten dabei für alle Verfahrensstufen von den polizeilichen Ermittlungen bis hin zu den Verhandlungen vor den Rechtsmittelinstanzen (BGer 6B_976/2015 vom 27. September 2016 E. 5.2.2, m.H.). Der Zweck des Verfahrensprotokolls ist es mithin, dass in chronologisch geordneter und dauerhafter Form der Verfahrensablauf übersichtlich dokumentiert wird. Hierbei besteht eine gewisse Überschneidung mit Art. 100 Abs. 2 StPO, der eine systematische Sammlung und Anlage der Akten verlangt (Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 77 N 1). Die Führung eines solchen Verfahrensprotokolls ist grundsätzlich in zwei Formen möglich: Einerseits durch eine systematische und nummerierte Sammlung der einschlägigen Schriftstücke, auf die in einem separaten Aktenverzeichnis verwiesen wird; andererseits in fortlaufend paginierter Heftform (Näpfli, in: Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 77 StPO N 2; Schmid/Jositsch, a.a.O., Art. 77 N 2 f.; vgl. auch AGE SB.2015.9 vom 3. September 2020 E. 10.1; Begleitbericht zum Vorentwurf für eine Schweizerischen Strafprozessordnung, Bern 2001, S. 71; Brüschweiler, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich 2014, Art. 77 N 3).
 
3.2      Aus dem Ausgeführten erhellt, dass die Strafprozessordnung beide von den Parteien bevorzugten Varianten des Verfahrensprotokolls vorsieht bzw. erlaubt. Die Staatsanwaltschaft kann also sehr wohl lediglich ein Aktenverzeichnis gemäss Art. 100 Abs. 2 StPO führen, ist jedoch dazu verpflichtet, die Verfahrensschritte bzw. Aktenstücke entsprechend in einem solchen Verzeichnis fortlaufend zu nummerieren bzw. die Aktenstücke zu paginieren. Ein solches Aktenverzeichnis hat sie im vorliegenden Fall zunächst sporadisch und nur auf Verlangen respektive Geheiss des Zwangsmassnahmengerichts erstellt, mittlerweile aber immerhin aktualisiert. Eine für das Erfordernis eines Verfahrensprotokolls fortlaufende Nummerierung des Verzeichnisses bzw. Paginierung der Verfahrensakten hat sie jedoch unterlassen, weshalb sie insoweit in Rechtsverweigerung verfallen ist und dies nachzuholen hat. Dem Beschwerdeführer ist ebenfalls Recht zu geben, wenn er geltend macht, dass im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung, wie oben erwähnt, gar kein aktuelles Aktenverzeichnis geführt oder ihm zugestellt wurde. Auch diesbezüglich ist die Staatsanwaltschaft in Rechtsverweigerungen verfallen. Die Staatsanwaltschaft ist demnach anzuweisen – sofern dies nicht bereits erfolgt ist –, die Verfahrensakten laufend zu paginieren, das Inhaltsverzeichnis entsprechend zu aktualisieren und dem Beschwerdeführer zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen.
 
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass auch die vom Beschwerdeführer bevorzugte Variante mit der Geschäftsverwaltungssoftware […] der Staatsanwaltschaft problemlos zu erstellen wäre, wie es im Übrigen auch durch das Appellationsgericht und das Strafgericht gehandhabt wird. Die Staatsanwaltschaft ist – wie dargelegt – jedoch nicht verpflichtet, ein solches Verfahrensprotokoll zu führen, wenn sie dies mit einem entsprechend korrekten, fortlaufend nummerierten Aktenverzeichnis und paginierten Akten vornimmt (Hervorhebungen durch mich).