Angemessenes Überwälzungshonorar
Wird eine beschuldigte Person freigesprochen, hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Angemessen heisst dreierlei:
- war der Beizug eines Verteidigers überhaupt notwendig? (s. dazu meinen früheren Beitrag)
- war der zeitliche Aufwand der Verteidigerin angemessen?
- welcher Stundenansatz erscheint als angemessen?
Entschieden werden diese drei Fragen ex post durch den Richter. Es gibt Richter, welche es zu lieben scheinen, den Anwälten zu erklären, dass ihre Arbeit (jedenfalls teilweise) unnötig war. Wenn der Beizug eines Verteidigers geboten war, dann hat er meist mehr getan als aus der Sicht des Richters nötig war und dies zu einem aus der Sicht des Richters überrissenen Stundenansatz. In fast jedem Entscheid liest man dazu, der Fall war in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht einfach, was einen Stundenansatz am unteren Rand des anwendbaren Tarifs begründet.
In BJM 4/2012, 224 ff. ist ein Urteil publiziert, mit dem ein Teil des Aufwands der Verteidigung als unnötig gekürzt wurde:
Des Weiteren hat sich der Verteidiger zweimal mit dem Verteidiger des anderen Angeklagten jeweils im Anschluss an die beiden Augenscheine [einer davon wurde als unnötig gestrichen] zu einer Besprechung getroffen. Inwieweit Besprechungen mit dem Vertreter eines Mitangeklagten, zu dem zumindest teilweise auch klare Interessengegenätze bestehen, opportun sind, muss der Beurteilung durch den Verteidiger selber überlassen bleiben. Nicht ersichtlich ist aber die Notwendigkeit einer zweiten Aussprache, nachdem bereits die erste auf einer fundierten Basis stattgefunden hat. Der Aufwand von 1 1/2 Stunden für die zweite Besprechung mit dem Kollegen … ist daher zu streichen (226).
Auch der Stundenansatz von CHF 250.00 erscheint als zu hoch:
Innerhalb dieses Rahmens ist der angemessene Stundenansatz nach Massgabe der Schwierigkeit des Falles und der notwendigen juristischen Kenntnisse zu bemessen. Dabei beträgt das zu vergütende Stundenhonorar eines Strafverteidigers nach der Praxis des Appellationsgerichts in durchschnittlichen Fällen ohne besondere Schwierigkeit CHF 220.00 (…). Dieser Ansatz ist auch im vorliegenden Fall zur Anwendung zu bringen (226).
Bestraft wird damit natürlich zuerst der Klient, der trotz Freispruchs die Differenz zum vereinbarten Honorar bezahlen muss und damit auf einem Teil seiner Kosten sitzen bleibt. Bestraft werden aber auch die Strafverteidiger, weil die Gerichtspraxis die Verteidigerhonorare zu staatlich administrierten Preisen macht.
Der zitierte Entscheid erging übrigens noch zum kantonalen Strafprozessrecht. Die Praxis zur neuen StPO wird aber nicht anders sein.
Ich kann mir nicht vorstellen dass diese Praxis in Strassburg geschützt würde. Auch die Unterscheidung von 220.- auf 250.- ist imho völlig willkürlich.
Glücklich, wer es sich leisten kann, einen Strafverteidiger vollumfänglich und zu gängigen Honoraransätzen zu bezahlen …