Anklageprinzip am Bundesstrafgericht
Dank dem Bundesstrafgericht und seiner Publikationspraxis stirbt das Anklageprinzip, welches seine wichtigsten Fürsprecher einst in Lausanne hatte, nicht aus. In BStGer SK.2012.39 wird ein Verfahren mit wichtigen Erwägungen zum Anklagegrundsatz an die Bundesanwaltschaft zurückgewiesen.
Es ergibt sich daher, dass gemäss Art. 325 f. StPO weder die Anklageschrift noch die Eingabe der Staatsanwaltschaft mit den weiteren Angaben und Anträgen die im Vorverfahren gesammelten Beweise nennen muss, auf die sich die einzelnen Vorwürfe stützen, aber dass solche detaillierten Hinweise mit der Anklageerhebung gemacht werden dürfen. Verboten ist bei der Anklageerhebung lediglich die Würdigung der relevanten Beweise im Rahmen eines schriftlichen “Plädoyers” (E. 3.3).
Die Meinung der Bundesanwaltschaft war, dass sie sich in der Anklage nicht über den Beweis von Tatsachenbehauptungen zu äussern habe. Wie das Bundesstrafgericht zu Recht feststellt, führt das in Akten mit umfangreichen Akten aber dazu, dass man sich nicht hinreichend verteidigen kann. Das Urteil enthält – wenn ich es richtig verstehe – auch ein starkes Argument für eine umfassende Schlusseinvernahme, die dann fast zur Verteidigungsschrift werden könnte:
In dieser Weise erfüllen die Schlusseinvernahmen nicht den ihnen für das Hauptverfahren beizumessenden Zweck. Der Anklagesachverhalt beruht im Kern auf zahlreichen, 12 Ordner umfassenden Polizeiberichten, denen Beilagen in 20 Ordnern angefügt sind. Dazu kommen Rechtshilfeakten, umfassend 14 Ordner, denen Beilagen in 31 Ordnern angefügt sind. Die Befragungen von A. erstrecken sich über mehr als 4’000 Seiten, diejenigen von B. über mehr als 2’300 Seiten. Es fehlt die Synthese in Schlusseinvernahmen, welche sich in der späteren Anklageschrift widerspiegeln, und in denen die einzelnen Vorwürfe mit dem Vorhalt der jeweiligen Beweisstücke dokumentiert sind. Hinweise in der Schlusseinvernahme auf frühere Befragungen, in welchen teilweise wiederum auf frühere Befragungen verwiesen wird (Kettenverweise), genügen nicht. Hinsichtlich der Eigenschaft in erster Linie der Organisation C. als kriminelle Organisation sind den Schlusseinvernahmen keine Belege bzw. Hinweise auf solche zu entnehmen. Bei der hier vorliegenden Aktenmenge und angesichts des weit umfassenden Sachverhalts ist ohne spezifische Hinweise auf die jeweiligen Aktenstellen in der Schlusseinvernahme (oder in einem anderen aktenkundigen Dokument; vgl. E. 3.2) die genügende Verteidigung erschwert und die Vorbereitung sowie die Durchführung der Hauptverhandlung nach den in E. 4.1 genannten Grundsätzen nicht möglich. Als Konsequenz dessen steht fest, dass das Vorverfahren nicht gesetzeskonform abgeschlossen wurde. Es ist deshalb zur Zeit nicht möglich, ein Urteil über die Anklage zu fällen. Aus diesem Grund ist das Verfahren nach Art. 329 Abs. 2 StPO zu sistieren. Die Bundesanwaltschaft hat Gelegenheit, diesen Mangel des Vorverfahrens zu beheben und die komplettierten Akten einzureichen. Dass die Beschuldigten möglicherweise zu den einzelnen, synthetisierten und dokumentierten, Vorwürfen keine Aussagen machen wollen, wie es bei A. am 30. April 2012 der Fall war, verunmöglicht die Schlusseinvernahme nicht. Eine Änderung der Anklageschrift ist der Bundesanwaltschaft unbenommen (Art. 340 Abs. 1 lit. b StPO e contrario) [E. 4.2].
Nur am Rande: wer über die Befragungen der beschuldigten Personen Tausende von Seiten füllen muss, dürfte ermittlungstaktisch ein Problem haben. Eigentlich schade, dass die Beschuldigten das zugelassen haben.
Das liest sich leider schon fast wie der Beginn einer (weiteren) suboptimalen Arbeit der Bundesanwaltschaft, in deren Verfahren wir noch das eine oder andere hören werden. Ich hoffe, ich irre mich!
Schön! Damit scheint der gute alte “Schlussbericht” der Staatsanwaltschaft wieder in die Akten zu dürfen. Das macht Sinn. Auch Sinn macht es, in grossen Verfahren mit den Beschuldigten in der Schlusseinvernahme einen eigentlichen Anklageentwurf mit entsprechenden Hinweisen auf relevante Aktenstellen durchzugehen. Um die Befragung möglichst effizient durchführen zu können und zur Vorbereitung für den Beschuldigten, kann der Entwurf vorgängig sogar zugestellt werden.
Das wäre doch auch aus Sicht der Verteidigung ein wünschbarer Ansatz. Ich stelle mir eine Anklage eigentlich sogar wie eine Klageschrift mit kurzen Beweissätzen und den dazu gehörenden Beweismitteln vor. Dazu gehörte dann natürlich auch eine Verteidigungsschrift im Geiste einer Klageantwort.
Dem kann ich aus Sicht eines Gerichtsschreibers ebenfalls nur zustimmen!