Anspruch auf Beurteilung
Ein Urteil muss den durch die zugelassene Anklage vorgegebenen Prozessgegenstand erschöpfend erledigen. Was das bei Tatmehrheit im Einzelnen bedeutet, klärt das Bundesgericht in einem neuen Grundsatzentscheid (BGE 6B_988/2015 vom 08.08.2015, Publikation in der AS vorgesehen). Dabei ändert es auch seine bisherige Rechtsprechung.
Auf den kürzesten Nenner gebracht sagt der Entscheid im Grundsatz, dass jede Tathandlung beurteilt werden muss. Der durch die Anklage definierte Verfahrensgegenstand muss erschöpfend beurteilt werden. Im Falle von angeklagter Tateinheit erfolgt ein einheitlicher Schuldspruch auch dann, wenn einzelne Tathandlungen unbewiesen bleiben. Bei Tatmehrheit gilt aber was folgt:
Wird hingegen nicht wegen aller Delikte verurteilt, die nach Auffassung der Anklage in Tatmehrheit begangen worden sein sollen, muss – soweit es nicht zur Verurteilung oder einer Einstellung kommt – ein Freispruch erfolgen, um die Anklage erschöpfend zu behandeln. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht das Konkurrenzverhältnis anders beurteilt als in der Anklage dargestellt und der Meinung ist, dass bei zutreffender rechtlicher Würdigung Tateinheit vorliegt. Beim Wegfall tatmehrheitlich angeklagter Delikte aufgrund der Annahme einer (rechtlichen) Bewertungseinheit ist der Angeklagte hingegen auch bei einem Schuldspruch wegen einfacher Tatbegehung nicht freizusprechen, wenn sich die weggefallenen materiell-rechtlich selbständigen Taten als Bestandteil der Tat erweisen, derentwegen eine Verurteilung erfolgt. Denn in einem solchen Fall wird der gesamte Verfahrensgegenstand durch die Verurteilung erschöpfend erledigt. Ein Teilfreispruch hat hingegen zu ergehen, wenn eine oder mehrere der angeklagten Taten nicht erwiesen sind und somit nicht Bestandteil der durch die Verurteilung zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Taten sind (E. 1.3).
Im zu beurteilenden Fall hatte die Vorinstanz auf Teil-Freisprüche verzichtet, indem sie über die Gewerbsmässigkeit eine rechtliche Bewertungseinheit konstruiert hat. Das erweist sich als falsch:
Da die Vorinstanz jedoch nicht alle angeklagten Handlungen als Betrug wertet, können diese auch nicht durch die rechtliche Bewertungseinheit des gewerbsmässigen Betruges erfasst werden. Der Beschwerdeführer ist insoweit mangels Verurteilung freizusprechen. Dass die Staatsanwaltschaft die tatmehrheitlich begangenen Taten unter einer Anklageziffer sowie materiell-rechtlich zu einer Bewertungseinheit zusammenfasst, rechtfertigt es entgegen der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht, auf einen formellen Freispruch zu verzichten, sofern das Kollektivdelikt noch erfüllt ist (vgl. Urteile 6B_669/2013 vom 13. November 2013 E. 2.4; 6P.23/2000 vom 31. Juli 2000 E. 1f/aa). Auch bei einer zusammengefassten Darstellung in Tatmehrheit angeklagter Handlungen unter einer Anklageziffer ist das Gericht verpflichtet, die Anklagepunkte erschöpfend zu behandeln. Es hat die angeklagten Taten als Lebenssachverhalte und nicht als Anklageziffern oder Straftatbestände zu beurteilen (E. 1.4).
Ich bin gespannt auf die Formulierung der Regeste in der AS-Publikation.