Antizipierte Beweiswürdigung
Im schweizerischen Strafprozessrecht spielt die antizipierte Beweiswürdigung eine Rolle, die in den meisten anderen Ländern mit vergleichbaren rechtsstaatlichen Standards undenkbar ist. Die antizipierte Beweiswürdigung erlaubt es dem Strafrichter, Beweisanträge des Beschuldigten abzuweisen. Ein Beispiel kann einem heute online gestellten Urteil des Bundesgerichts (6S.559/2006 vom 02.03.2007) entnommen werden.
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass der Richter rechtzeitig und formrichtig angebotene erhebliche Beweismittel abzunehmen hat (BGE 122 I 53 E. 4a, mit Hinweisen). Dies verwehrt es ihm indessen nicht, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn er ohne Willkür in freier, antizipierter Würdigung der beantragten zusätzlichen Beweise zur Auffassung gelangen durfte, dass weitere Beweisvorkehren an der Würdigung der bereits abgenommenen Beweise voraussichtlich nichts mehr ändern würden (BGE 124 I 208E. 4a; 122 II 464 E. 2a; 122 III 219 E. 3c; 122 IV 157 E. 1d, je mitHinweisen) (E. 3.2).
Im zu beurteilenden Fall hatte der Beschwerdeführer gerügt, dass die Vorinstanzen auf Aussagen des Opfers einer Vergewaltigung abstellte, aber den der Verteidigung abgewiesen hatte, ein aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen:
Nach der Rechtsprechung ist die Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen primär Sache der Gerichte. Auf eine Begutachtung durch einen Sachverständigen ist nur zurückzugreifen, wenn der Richter aufgrund besonderer Umstände auf zusätzliches medizinisches oder psychologisches Fachwissen angewiesen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn Anzeichen bestehen, dass die betreffende Person wegen einer ernsthaften geistigen Störung, Drogensucht, übermässigen Medikamentenkonsums oder sonstiger Umstände in ihrer Wahrnehmungs-, Erinnerungs- oder Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt und zur wahrheitsgemässen Aussage nicht fähig oder nicht willens sein könnte. Dem Richter steht bei der Beantwortung der Frage, ob aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles der Beizug eines Sachverständigen zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung notwendig ist oder nicht, ein Ermessensspielraum zu (E. 3.4).
Dass bereits die Frage, ob solche Anzeichen bestehen, einer besonderen Expertise bedürfen, wird von dieser Rechtsprechung m.E. zu Unrecht ausgeblendet. Auch der Experte wird doch letztlich nur Anzeichen für oder gegen die Glaubhaftigkeit von Aussagen nennen können. Wenn dem Richter als Laien bereits bei der Frage, ob die Glaubhaftigkeit zu untersuchen sei ein Ermessen eingeräumt wird, billigt man ihm im Ergebnis die selbe Fachkompetenz zu wie dem Experten.
So ist dem Appellationsgerichtdarin zuzustimmen, dass das Verhalten der Beschwerdegegnerin anlässlich ihrer Befragungen keinerlei Anhaltspunkte für Auffälligkeiten liefert, welche eine aussagepsychologische Begutachtung nötig erscheinen liessen. Auch wenn die Beschwerdegegnerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einerdependenten Persönlichkeitsstruktur leidet, muss dies keine unmittelbaren Folgen auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen haben. Dies gilt umso mehr, als sich die psychischen Schwierigkeiten der Beschwerdegegnerin laut dem fraglichen Evaluationsbericht lediglich in Angstzuständen, depressiver Verstimmung und einem niedrigen Selbstwertgefühl manifestieren. Insoweit – d.h. namentlich in Bezug auf die Diagnose, die auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gezogen wird, und die daraus resultierenden gesundheitlichen Auswirkungen für die Beschwerdegegnerin – hat das Appellationsgericht den fraglichen Evaluationsbericht aber als zulässige Entscheidgrundlage heranziehen dürfen (E. 3.6).