Anwälte müssen sorgfältiger sein als Richter
Es kommt vor, dass ein Gericht, das regelmässig Verfügungen erlässt, plötzlich sein Know-How verliert und nicht mehr in der Lage ist, eine korrekte Rechtsmittelbelehrung zu verfassen. Kann ja wirklich mal vorkommen. Auch bei einem Gericht, auch im Bereich seines eigentlichen Kerngeschäfts. Sind ja auch nur Menschen. Schliesslich.
Zu den Menschen werden nebst den Richtern mitunter zwar auch die Anwälte gezählt. Sie sind aber insofern besondere Menschen, als ihre Fehler, auch wenn sie auf den Fehlern des Richters basieren, Konsequenzen haben, und zwar auch und insbesondere zulasten ihrer Klienten. Denn wenn ein Anwalt einen Fehler macht, mutiert er vom Beistand zum direkten Vertreter mit allen Folgen des Stellvertretungsrechts. Daran hält sich auch das Bundesstrafgericht (BStGer BH.2014.8 / BP.2014.25 vom 25.06.2014):
Vorliegend gilt es festzuhalten, dass für eine Rechtsanwältin bereits ein einfacher Blick ins Gesetz genügt hätte, um festzustellen, dass die Fristregelung von Art. 28 Abs. 3 VStrR zur Anwendung gelangt. Rechtsanwältin […] führt diesbezüglich aus, dass sie davon ausgehen durfte, dass – analog den Beschwerdefristen in der StPO – die Beschwerdefrist gegen Zwangsmassnahmen gemäss Art. 26 i.V.m. 45 ff. VStrR 10 Tage beträgt und nicht die kurze Frist von 3 Tagen zur Anwendung gelangte. Diese gelange gemäss Art. 28 Abs. 3 VStrR nur für Beschwerden gegen Amtshandlungen und Beschwerdeentscheide zur Anwendung (act. 1). Aus den Ausführungen der Rechtsanwältin geht hervor, dass diese wusste, dass sich das Verfahren gegen ihren Mandanten im Geltungsbereich des VStrR befindet und Art. 28 Abs. 3 VStrR eine Fristregelung enthält. Ihre Ausführungen, wonach Art. 28 Abs. 3 VStrR bei Zwangsmassnahmen nicht anwendbar sein soll, sind nicht nachvollziehbar. Die Anordnung von Zwangsmassnahmen sind klarerweise Amtshandlungen. Zudem enthält Art. 28 Abs. 3 VStrR eine explizite Regelung betreffend die Fristauslösung im Falle, dass sich der Beschuldige in Haft befindet (s. supra 1.2). Folglich hätte Rechtsanwältin […] erkennen können, dass die Rechtsmittelbelehrung unzutreffend ist, weswegen der Vertrauensschutz vorliegend nicht greift (E. 2.3).
Und damit alle, die es wie ich selbst nicht auswendig gewusst haben, noch etwas lernen: Für Beschwerden nach VStrR gilt eine Frist von 3 (drei) Tagen: Art. 28 Abs. 3 VStrR.
@strafprozess Was bedeutet das im Endeffekt für den Klienten? Pech gehabt wegen Anwaltsfehler?
Normalerweise ja. Im vorliegenden Fall wurde er aber ohnehin bereits aus der Haft entlassen. Es ging nur noch um die Kosten, aber immerhin um ein paar Tausender.
Drei Tage sind in jedem Fall sportlich, 10 Tage ist ja schon eher knapp!
Äusserst bedenklich, dass die verfolgende Strafbehörde offensichtlich ihr “eigenes” Prozessgesetz (VStrR) nicht kennt und die falsche Rechtsmittelbelehrung ausstellt, (worauf die Verteidigerin nun hereingefallen ist). Dieselbe Verfolgungsbehörde, die in der gleichen Sache den Beschuldigten ein Jahr nach dessen Kenntnis über das Strafverfahren wegen Kollusionsgefahr (!) für 40 Tage in Haft nahm und diese Haftanordnung (erfolglos) bis vor Bundesgericht durchpauken wollte: http://www.strafprozess.ch/haftbeschwerde-der-esbk/
Fraglich, ob man einer Verwaltungsbehörde, die ihr Metier ganz augenscheinlich nicht beherrscht, Zwangsmittel wie Hausdurchsuchung und Haftanordnung zugestehen sollte.
Seien wir doch realistisch: Die Tatsache dass eine Gerichtsbehörde eine falsche Belehrung einsetzt, heisst nicht dass sie “ihr Metier” nicht beherrscht, sondern dass auch dort mal solche Fehler passieren können, wie sie überall passieren. Belehrungen sind doch vielfach auch automatisiert und da reicht vermutlich ein falscher Klick und eine ungenügende Kontrolle. Sollte nicht, aber kann passieren. Das Fatale ist nun aber, dass der schwarze Peter immer ohne Wenn und Aber dem Anwalt und damit dann eben seinem Klienten zugeschoben wird.
Genau so ist es, danke.
@ ja: Dem geneigten Leser entgeht nicht, dass nicht die Strafverfolgungsbehörde “ihr” VStrR nicht kennt, sondern dass das Haftgericht seine Mühe mit dem “fremden” VStrR hatte.
Sie haben Recht, das habe ich übersehen und bin wohl mit meiner vorherigen Aussage etwas über das Ziel hinausgeschossen.