Anwaltstypische Abklärung des Sachverhalts

Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich versuchte mit einer Entsiegelungsbeschwerde erfolglos, das Bundesgericht davon zu überzeugen, dass die Abklärung komplexer Sachverhalte generell keine anwaltstypische Tätigkeit darstelle, da diese Aufgabe nicht einzig durch eine Anwaltskanzlei vorgenommen werden könne. Das Bundesgericht verwirft diesen Standpunkt in einem neuen Grundsatzentscheid (BGE 7B_158/2024 vom 06.08.2024, Publikation in der AS vorgesehen):

Die Notwendigkeit des Beizugs einer Anwaltskanzlei ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin jedoch grundsätzlich kein taugliches Kriterium zur Abgrenzung der typischen von der akzessorischen Anwaltstätigkeit, weil von vornherein nur die Tätigkeit im Monopolbereich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vorbehalten ist. Massgebend in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation ist vielmehr, ob gesetzlich vorgeschriebene Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten dadurch umgangen werden, dass sie an eine Anwaltskanzlei delegiert werden (vgl. Urteile 1B_433/2017 vom 21. März 2018 E. 4.18; 1B_85/2016 vom 20. September 2016 E. 6.6) [E. 3.3].  

Im vorliegenden lag eine solche Umgehung nicht vor. Das Bundesgericht hat aber dennoch offengelassene Fragen im Zusammenhang mit internen Untersuchungen angesprochen:

Dagegen muss vorliegend nicht abschliessend darüber entschieden werden, ob komplexe interne Untersuchungen (insbesondere mit umfassenden Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Unternehmung) – oder Aufträge, die sich allenfalls gar auf die reine Ermittlung des Sachverhalts begrenzen – generell als anwaltstypische Tätigkeiten qualifiziert werden können (E. 3.3). 

Etwas überraschend (jedefalls für mich) hat sich das Bundesgericht auch zu “pre-existing documents” geäussert und das Argument der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Unterlagen, die den Anwälten übergeben wurden, waren bloss Kopien:

Die Kopien wurden erstellt und dem von der Rechtsvertretung erstellten Untersuchungsbericht als Beilagen hinzugefügt, weil sie als mandatsrelevant erachtet wurden. Damit ist zugleich gesagt, dass die streitigen Unterlagen im Rahmen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen der Rechtsvertretung und der Klientschaft entstanden und damit durch das Anwaltsgeheimnnis geschützt sind (vgl. FRITSCHE, a.a.O., S. 331). Daran vermögen auch allfällige Effizienzüberlegungen, wonach diese Bankunterlagen ohnehin separat (bei der Klientschaft) sichergestellt werden könnten, nichts zu ändern (so aber wohl GRAF, a.a.O., Rz. 648-652). Dass die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung durch das Anwaltsgeheimnis möglicherweise erhöht werden, muss in einem Rechtsstaat in Kauf genommen werden (BGE 112 Ib 606 E. b). [E. 4.3].

Schliesslich war noch zu klären, ob die Informationen denn überhaupt noch Geheimnisse darstellten, denn diese waren zuvor bereits der FINMA übermittelt worden:

Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass die Herausgabe der streitigen Unterlagen an die FINMA nicht die Aufgabe des Geheimnischarakters dieser Unterlagen zur Folge hatte. Die Beschwerdeführerin bringt vor, entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei sie freiwillig erfolgt. Indessen hat auch eine freiwillige Kundgabe geheimer Informationen an Dritte nicht ohne Weiteres zur Folge, dass der Geheimnischarakter dieser Informationen insgesamt entfällt. Im Übrigen weist die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zu Recht darauf hin, dass die FINMA ihrerseits dem Amtsgeheimnis untersteht, unter gewissen Umständen berechtigt ist, die Herausgabe von Informationen an die Strafverfolgungsbehörden zu verweigern (vgl. Art. 40 Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht vom 22. Juni 2007 [FINMAG; SR 956.1]), und die Beschwerdegegnerin bei jeder Übermittlung der geheimnisgeschützten Informationen an die FINMA zum Ausdruck brachte, am Anwaltsgeheimnis festhalten zu wollen (E. 5.2).