Atemalkohol: Messtoleranzen gelten nicht mehr
Im Kanton Zürich ist ein Automobilist freigesprochen worden, bei dem der Atemlufttest einen Blutalkoholgehalt von 0.56 Promille ergeben hatte. Der Freispruch erfolgte aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach das Ergebnis des Atemlufttests bis zu 20% über oder unter der mittels Blutprobe festgestellten Alkoholkonzentration liegen könne. Entsprechend wurden 20% vom gemessenen Wert abgezogen, was zum Freispruch führte. Dass der Automobilist das Messergebnis unterschriftlich anerkannt hatte, wurde nicht als Geständnis im Sinne von Art. 160 StPO gewertet. Nach Auffassung der Vorinstanzen konnte nicht widerlegt werden, dass der Automobilist das Protokoll nur kurz überflogen hatte. Er hätte zudem das Ergebnis nicht anerkannt, wenn ihm die Streubreite des Umrechnungsfaktors bewusst gewesen wäre.
Das Bundesgericht kassiert den Entscheid auf Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft hin (BGer 6B_186/2013 vom 26.09.2013, Fünferbesetzung). Es führt aus, dass sich die Grundlage seiner früheren Rechtsprechung mit der Neufassung von Art. 91 Abs. 1 SVG (in Kraft seit 1. Januar 2005) geändert habe. Der Gesetzgeber habe
ein vereinfachtes System geschaffen, um die Fahrunfähigkeit bei nicht qualifizierter Blutalkoholkonzentration festzustellen. Durch die einfache Anwendung ohne intensiven Eingriff wirkt es sich nicht zuletzt zu Gunsten der kontrollierten Person aus. Dieser steht offen, den mittels Atemalkoholprobe eruierten Wert nicht anzuerkennen und damit eine möglicherweise entlastende Blutuntersuchung zu verlangen. Art.11 Abs. 5 lit. a SKV regelt, in Anlehnung an die gestützt auf Art. 55 Abs. 6 SVG von der Bundesversammlung erlassene BAGV, die Würdigung respektive Auswertung der Atemalkoholprobe. Sie fügt sich zwangslos in den von Art. 55 Abs. 7 lit. b SVG umrissenen Rahmen und beschränkt sich darauf, die gesetzliche Regelung auszuführen beziehungsweise zu ergänzen und zu präzisieren, ohne Sinn und Zweck des Gesetzes zu widersprechen (Urteil 6B_776/2011 vom 24. Mai 2012, E. 1.4.1) [E. 2.6.4]
Im Ergebnis führt das “vereinfachte System” zum Verzicht auf die Messtoleranzen. Das sei nun aber nicht etwa die Folge “unumstösslicher Beweisvorgaben” (ein neuer Rechtsbegriff?), sondern freie Beweiswürdigung:
Ergeben die beiden Atemalkoholproben eine Blutalkoholkonzentration zwischen 0,50 und 0,79o/oo, weichen diese höchstens 0,10o/oo voneinander ab und anerkennt die kontrollierte Person diesen Wert unterschriftlich, so darf der tiefere der beiden Messwerte grundsätzlich als erwiesen angesehen werden. Zu diesem Ergebnis gelangt man aufgrund freier Beweiswürdigung, weshalb nicht gesagt werden kann, die entsprechende Regelung in der bundesrätlichen Verordnung schränke die richterliche Freiheit ein oder schaffe sogar eine unumstössliche Beweisvorgabe. Es besteht kein Anlass, vom massgeblichen Wert nochmals 20% wegen der möglichen Ungenauigkeit der Atemluftmessung abzuziehen, wie dies unter der Geltung des früheren Rechts erforderlich war (E. 2.6.4).
Dass damit der Verzicht noch nicht erklärt ist, erscheint als evident. Das Bundesgericht führt zusätzliche Argumente ins Feld. Es geht ihm dabei ganz offensichtlich weniger um Recht denn um Praktikabiliät:
Indem der Betroffene das Testergebnis ausdrücklich anerkennt, nimmt er eine mögliche Abweichung in Kauf. Er tut dies regelmässig im Wissen um den vorher konsumierten Alkohol und seine körperliche Verfassung. Gleichzeitig vermeidet er das Risiko, dass die Blutprobe allenfalls zu einer qualifizierten Alkoholkonzentration und damit zu einer Verurteilung wegen eines Vergehens führen kann. Auf die Bedeutung einer Anerkennung des Atemlufttestes wurde im Übrigen bereits in der Rechtsprechung zur früheren VZV hingewiesen (BGE 127 IV 172 E. 3d). Am Beweisergebnis ändert in aller Regel nichts, wenn die kontrollierte Person zu einem späteren Zeitpunkt auf ihre Erklärung zurückkommt. Anderenfalls wäre es ein Leichtes, Beweisschwierigkeiten zu schaffen. Gleichwohl steht es dem Richter offen, das Resultat der Atemalkoholprobe nach seiner aus dem Verfahren gewonnenen Überzeugung frei zu würdigen. Der Verordnungsgeber seinerseits misst dem Atemlufttest als Beweismittel für die Feststellung der Fahrunfähigkeit eine weniger grosse Bedeutung bei als der zuverlässigeren Blutprobe. Nicht ausgeschlossen ist somit, dass der Richter zur Auffassung gelangt, das Messresultat sei nicht korrekt ermittelt worden (Urteil 6B_776/2011 vom 24. Mai 2012, E. 1.4.3 mit Hinweisen) [E. 2.6.4].
Die letzten Sätze relativieren dann das Urteil gleich wieder. Das dürfte erklären, warum der Entscheid nicht zur Publikation in der AS vorgesehen ist.
Da die Vorinstanz die erstinstanzliche Sachverhaltsfeststellung als fehlerfrei bezeichnet, leidet ihr Entscheid an einem qualifizierten Mangel und verletzt Bundesrecht.
Das kommentiere ich jetzt nicht.
Sehr geehrter Herr Jerker
Können Sie mir bitte erklären, weshalb das Bundesgericht in anderen Fällen behauptet, dass mit der Unterzeichnung der Einvernahme die beschuldigte Person sicher eindeutig dazu bekennt hat, die Messtoleranz überschritten zu haben und in dem vorliegenden Fall das Bundesgericht genau das Gegenteilige behauptet? Ich versteh das nicht, vielleicht bin ich ja dazu nicht geistig imstande.
Vielleicht weil die Toleranz hier eben nicht überschritten war?