Attitude oppositionelle
Das Kantonsgericht VD hat eine Frau wegen Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) mit 10 Tagessätzen bedingt bestraft. Sie hatte sich geweigert, einer polizeilichen Aufforderung Folge zu leisten und darauf gewartet, festgenommen zu werden.
Das Bundesgericht spricht die Frau frei, weil sie sich lediglich passiv verhalten hatte (BGer 6B_349/2024 vom 26.11.2024). Nicht näher definierte “attitude oppositionelle” reichte dem Bundesgericht nicht für eine Verurteilung.
On cherche en vain dans l’état de fait cantonal quel acte imputé à la recourante aurait “fortement gêné l’intervention de la police”, comme semblent pourtant le retenir les juges précédents en reprenant les termes de l’ordonnance pénale. S’il est constant que la recourante se trouvait sur les lieux soumis à évacuation, il n’est pas constaté qu’elle aurait par exemple empêché ou gêné le passage des policiers, ou entravé de toute autre manière les actes officiels qu’ils devaient accomplir. Il n’en va pas différemment s’agissant des circonstances dans lesquelles s’est déroulée son interpellation, puisqu’il est établi qu’elle n’a opposé aucune résistance active aux forces de l’ordre. Comme le relève la recourante, il n’est en particulier pas constaté qu’elle se serait laissée difficilement emmener. La mention dans le rapport de police d’une attitude non seulement passive, mais aussi “oppositionnelle”, est à elle seule insuffisamment précise pour permettre de comprendre quel comportement concret lui serait reproché.
Dans un tel contexte, le fait que la recourante ait refusé de quitter les lieux de son propre gré ensuite des injonctions de la police et attendu que celle-ci l’interpelle pour le faire – fût-ce dans le but de manifester son soutien aux “zadistes” – relève d’un simple refus d’obtempérer, comportement que l’art. 286 CP n’incrimine pas (cf. supra consid. 2). Contrairement aux considérations de l’autorité cantonale, la circonstance que la police devait déjà procéder à de nombreuses autres arrestations ce jour-là n’y change rien. Enfin, l’hypothèse permettant, selon les circonstances, de retenir la réalisation de cette infraction en présence d’un comportement purement passif (cf. supra consid. 2 in fine) n’est pas réalisée, la recourante n’occupant pas une position de garant.
En définitive, la condamnation de la recourante pour empêchement d’accomplir un acte officiel contrevient à l’art. 286 CP, ce qui scelle le sort du recours, sans qu’il n’y ait lieu d’examiner les autres griefs qui y sont soulevés (E. 4).
“Auch wenn sie bei ihrer Festnahme nicht tatsächlich aktiven Widerstand geleistet hatte, so blieb doch die Tatsache bestehen, dass sie nicht kooperiert hatte, sich weigerte zu gehen und auf ihre Festnahme durch die Polizei wartete” (E.3, übersetzt).
Das stellt die Vorinstanz gemäss BGE in ihrem Urteil so fest und verneint damit selber implizit die Strafbarkeit (bestätigt aber die Verurteilung trotzdem), da aktiver Widerstand erforderlich ist, um den objektiven Tatbestand zu erfüllen. Das weiss jeder Staatsanwalt, jeder Richter. Und sonst kann er/sie es nachlesen.
Dafür aber 2 Tage in Untersuchungshaft schmoren zu lassen sowie Verfahrenskosten von 1’450 Fr. aufzuerlegen (Sachverhalt A.), sollte wohl ein Exempel statuieren – freilich ein rechtswidriges, wie das BGer nun entschied.
Und die Steuerzahlenden des Kantons Waadt dürfen nun – für den Übereifer (wohlwollend ausgedrückt) sämtlicher Vorinstanzen – 3’000 Fr. Parteientschädigung bezahlen (Urteilsformel Ziffer 3). Die Verantwortlichen bleiben natürlich für die Öffentlichkeit namen- und gesichtslos und unbehelligt. Und dürfen für das nächste Mal weitere Glanzleistungen aushecken.
Apropos “nachlesen”: Das BGer kaut der Vorinstanz die bundesgerichtliche Rechtsprechung auch noch vor (E.2). Aber offenbar hatten die beteiligten RichterInnen keine Lust, diese zu befolgen, das Recht einzuhalten.
Das wirft schon Fragen nach der charakterlichen Eignung für ein Richteramt auf.
zum Nachlesen :-%
2.
Gemäss Art. 286 StGB (in der zur Tatzeit geltenden Fassung) wird mit einer Geldstrafe bis zu 30 Tagessätzen bestraft, wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten daran hindert, eine Amtshandlung vorzunehmen, die in seinen Aufgabenbereich fällt.
Objektiv verlangt die Tatbestandsverwirklichung, dass der Täter durch sein Verhalten die Behörde oder den Beamten bei der Ausführung einer Amtshandlung behindert. Es genügt nicht, einem erteilten Befehl nicht Folge zu leisten (BGE 133 IV 97 E. 4.2; 127 IV 115 E. 2; 120 IV 136 E. 2a) oder seine Ablehnung gegenüber einem behördlichen Akt lediglich auszudrücken, ohne diesen zu behindern (BGE 105 IV 48 E. 3). Es ist hingegen nicht erforderlich, dass der Täter die Amtshandlung tatsächlich verhindert; es reicht aus, wenn er diese erschwert, behindert oder verzögert (BGE 133 IV 97 E. 4.2; 127 IV 115 E. 2; 124 IV 127 E. 3a; Urteil 6B_702/2023 vom 13. Mai 2024 E. 7.1 mit Verweisen).
Die Straftat unterscheidet sich sowohl von derjenigen gemäss Art. 285 StGB, da der Täter weder Gewalt noch Drohungen einsetzt, als auch von derjenigen gemäss Art. 292 StGB, da eine blosse Nichtbefolgung nicht ausreicht (Urteil 6B_89/2019 vom 17. Mai 2019 E. 1.1.1).
Das fragliche Verhalten setzt eine gewisse Aktivität voraus, die über passives Verhalten hinausgeht (BGE 133 IV 97 E. 4.2; 127 IV 115 E. 2 mit Verweisen). Beispielsweise kann eine physische Behinderung vorliegen, wenn der Täter durch seine Person oder durch Gegenstände den Durchgang eines Beamten verhindert oder erschwert, um ihm den Zugang zu einer Sache zu erschweren (vgl. z. B. Urteil 6B_89/2019 vom 17. Mai 2019 E. 1.1.1 und 1.4). Es kann sich auch um ein Verhalten handeln, bei dem der Täter an Ort und Stelle verharrt und sich nur schwer abführen lässt (Urteile 6B_702/2023, a.a.O., E. 7.2 und 7.3; 6B_145/2021 vom 3. Januar 2022 E. 2.1), die Flucht ergreift (BGE 120 IV 136 E. 2a), sich bei der Verhaftung körperlich widersetzt, indem er sich etwa an anderen Personen festhält und „totstellt“ (Urteil 6B_1486/2022 vom 5. Februar 2024 E. 6.2 und 6.3), die Arme wild bewegt, um sich einer Festnahme zu widersetzen (Urteil 6B_672/2011 vom 30. Dezember 2011 E. 3.3), oder die Hände fest in den Taschen behält, während die Beamten versuchen, sie zu entfernen, sodass diese Gewalt anwenden müssen, um dem Täter Handschellen anzulegen (Urteil 6B_333/2011 vom 27. Oktober 2011 E. 2.2.2).
In bestimmten Fällen kann auch die blosse Anwesenheit als Behinderung gewertet werden, etwa wenn die Anwesenheit des Täters eine Behörde daran hindert, eine Sitzung abzuhalten (BGE 107 IV 113 E. 4; Urteil 6B_145/2021, a.a.O., E. 2.1).
Zwar lässt die Rechtsprechung zu, dass die Straftat in Ausnahmefällen auch durch ein rein passives Verhalten erfüllt werden kann, jedoch nur dann, wenn der Täter durch sein pflichtwidriges Unterlassen eine Amtshandlung verhindert, zu deren Förderung er aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet war, und sein Unterlassen kausal war (BGE 133 IV 97 E. 4.2 und 4.3; 120 IV 136 E. 2b; Urteil 6B_333/2011, a.a.O., E. 2.2.1 in fine).
Nanana, wir wollen doch nicht gleich auf die Person zielen.
Und ausserdem: Ja, es handelt sich hier um eine gefestigte Rechtsprechung und ja, jeder Staatsanwalt und jeder Richter sollte diese kennen. Nur geht es hier um Rechtsprechung und nicht um “Recht” im Sinne einer in Stein gemeisselten Regel. Rechtsprechung kann sich auch verändern, was nicht selten dadurch geschieht, dass vorinstanzliche Entscheide in Abweichung zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung ans Bundesgericht getragen werden.
Ausserdem ist die Sache ja nie so schwarzweiss, wie man auf den ersten Blick glauben mag. Hinderung einer Amtshandlung kann etwa auch durch Unterlassen begangen werden (BGE 120 IV 140). Ausserdem hat das Bundesgericht auch schon Unterlassen als aktives Tun gewertet, wenn der Unterlassung ein gezieltes, auf die Hinderung einer Amtshandlung gerichtetes Tätigwerden vorausging (BGE 133 IV 101).
Also, immer schön tief durchatmen und keine voreiligen Schlüsse zum Charakter von Personen ziehen.
@Lieven
Um fundierte Schlüsse ziehen zu können, wäre eine statistische Auswertung von Gerichtsurteilen notwendig. Diese wird jedoch aktiv erschwert, da in Strafurteilen des Bundesgerichts (und ich glaube auch sonstige Vorinstanzen) die Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht namentlich genannt werden. Dabei wissen die Staatsanwälte genau, was sie tun – sonst würden sie in ihren Verfügungen nicht regelmässig auf die Angabe ihrer Vornamen verzichten. Wenn Staatsanwälte mit höheren Instanzen Schriftverkehr führen, geben sie ihre Direktdurchwahl und E-Mail-Adresse im Briefkopf an. In der Kommunikation mit Beschuldigten hingegen fehlen solche Angaben völlig – komisch, fast so, als würden sie aktiv zwei verschiedene Templates verwenden ;).
Wenn ich mit einem Richter oder einem Staatsanwalt zu tun habe, möchte ich nachvollziehen können, an welchen Entscheidungen diese beteiligt waren und wie diese ausfielen. Idealerweise sollte bei veröffentlichten Urteilen auch die Beschwerdeschrift zugänglich sein.
Du hast völlig recht: Mit der heutigen Geheimniskrämerei lassen sich keine fundierten Rückschlüsse ziehen. Die Konsequenz ist, dass Bewertungsplattformen entstehen, auf denen sich – wie bei Bewertungen üblich – vor allem unzufriedene Personen äussern. Es wird spannend sein zu sehen, wie schnell bger.ch gegenreagiert und relevante Daten von Urteilen von sich aus veröffentlicht, sollte das Gericht tatsächlich sauber arbeiten. Wer nichts zu
Danke für die – teilweise überflüssigen – Belehrungen, Thomas Lieven.
1. Ihr Hinweis auf BGE 133 IV 101 wird durch den hier diskutierten BGE, E. 2, obsolet, weil die Strafbarkeit der Passivität eingeschränkt wird: “Wenn die Rechtsprechung offenbar davon ausgeht, dass die Straftat durch Unterlassen, also durch rein passives Verhalten, begangen werden kann, berücksichtigt sie diese Möglichkeit nur insoweit, als der Urheber schuldhaft die Vornahme einer Handlung unterlassen hat, zu deren Vornahme er gesetzlich verpflichtet war, eine Garantenstellung innehatte, die die Begünstigung einer Amtshandlung beinhaltete, und dass seine Unterlassung kausal war (ATF 133 IV 97 bei 4.2 und 4.3; 120 IV 136 unter 2b; Urteil 6B_333/2011 oben unter 2.2.1 am Ende).”
Und E. 4: “Schliesslich ist die Hypothese, die es je nach den Umständen erlaubt, das Vorliegen dieser Straftat bei Vorliegen eines rein passiven Verhaltens zu betrachten (siehe oben E. 2 am Ende), nicht erfüllt, da die Beschwerdeführerin keine Garantenstellung innehat.”
2. Ich bleibe deshalb bei meiner Meinung, dass aufgrund des im BGE geschilderten Sachverhalts und aufgrund der vorinstanzlichen Erwägungen klar sein musste, das der objektive Tatbestand nicht erfüllt war.
Vielmehr entsteht der Eindruck, dass aufgrund der zahlreichen weiteren Verhaftungen gleichzeitig am selben Ort (E. 3) die Beschwerdeführerin in den gleichen Topf geworfen und die Rechtswidrigkeit ihrer 2-tägigen Haft (durch die Bestätigung ihrer Verurteilung) vertuscht werden sollte.
Erfahrungsgemäss kommt es nicht selten vor, dass RichterInnen das Recht (und die Rechtsprechung) bewusst missachten und damit den Betroffenen schaden. Deshalb stelle ich die Charakterfrage.
Es muss nicht immer Kaviar sein, Lieven (lol), aber es muss immer peinlich genau rechtsstaatlich bleiben.
@Lieven
Um fundierte Schlüsse ziehen zu können, wäre eine statistische Auswertung von Gerichtsurteilen notwendig. Diese wird jedoch aktiv erschwert, da in Strafurteilen des Bundesgerichts (und ich glaube auch sonstige Vorinstanzen) die Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht namentlich genannt werden. Dabei wissen die Staatsanwälte genau, was sie tun – sonst würden sie in ihren Verfügungen nicht regelmässig auf die Angabe ihrer Vornamen verzichten. Wenn Staatsanwälte mit höheren Instanzen Schriftverkehr führen, geben sie ihre Direktdurchwahl und E-Mail-Adresse im Briefkopf an. In der Kommunikation mit Beschuldigten hingegen fehlen solche Angaben völlig – komisch, fast so, als würden sie aktiv zwei verschiedene Templates verwenden ;).
Wenn ich mit einem Richter oder einem Staatsanwalt zu tun habe, möchte ich nachvollziehen können, an welchen Entscheidungen diese beteiligt waren und wie diese ausfielen. Idealerweise sollte bei veröffentlichten Urteilen auch die Beschwerdeschrift zugänglich sein.
Du hast völlig recht: Mit der heutigen Geheimniskrämerei lassen sich keine fundierten Rückschlüsse ziehen. Die Konsequenz ist, dass Bewertungsplattformen entstehen, auf denen sich – wie bei Bewertungen üblich – vor allem unzufriedene Personen äussern. Es wird spannend sein zu sehen, wie schnell bger.ch gegenreagiert und relevante Daten von Urteilen von sich aus veröffentlicht, sollte das Gericht tatsächlich sauber arbeiten. Wer sauber arbeitet, würde doch von sich aus dies zeigen – das BGer sollte das ja am besten verstehen, siehe https://www.strafprozess.ch/aussagepsychologische-grundregeln/