Auch Rechtsbegehren sind auszulegen
Gerne werfen die Strafbehörden den Verteidigern vor, sie argumentierten formalistisch. Ab und an fällt dieser Vorwurf aber auf die Justiz selbst zurück, wie ein neues Urteil des Bundesgericht zeigt (BGer 1B_529/2020 vom 09.12.2020). Das Bundesgericht wirft dem Obergericht BE vor, eine Beschwerde unter dem Vorwand nicht behandelt zu haben, es sei unklar, was der Beschwerdeführer wolle. Das Bundesgericht nimmt der Vorinstanz das nicht ab:
Wenn die Vorinstanz trotz dieser Begründung verlangt, in der Beschwerdeschrift – “gespiegelt in den Rechtsbegehren” – hätte zumindest die Behauptung aufgestellt werden müssen, dass das Anfechtungsobjekt nicht restlos klar erscheine und er zur Beschwerde so oder anders legitimiert sein müsse, um sich gegen die durchgeführte Observation bzw. deren angeblich nicht vorhandene Dokumentation zu wehren, erscheint dies überspitzt formalistisch. Aus der betreffenden Erwägung des Obergerichts geht denn auch hervor, dass es im Grunde genommen ebenfalls erkannte, worum es dem Beschwerdeführer inhaltlich ging. Die Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV ist deshalb berechtigt (E. 2.7, Hervorhebungen durch mich).
Seine Rechtsprechung zu Fällen mit unklaren Rechtsbegehren fasst das Bundesgericht wie folgt zusammen:
Wie alle Prozesshandlungen sind auch Rechtsbegehren nach Treu und Glauben auszulegen, insbesondere im Licht der dazu gegebenen Begründung (BGE 123 IV 125 E. 1 S. 127). Nach der Rechtsprechung schadet eine sichtlich ungewollte oder unbeholfene Wortwahl ebensowenig wie eine nicht geglückte oder rechtsirrtümliche Ausdrucksweise. Es genügt, wenn der Beschwerde insgesamt entnommen werden kann, was der Beschwerdeführer verlangt (Urteil 1C_37/2020 vom 24. Juni 2020 E. 1.2 mit Hinweisen). Tritt ein Gericht auf ein Rechtsmittel mit formell mangelhaften Rechtsbegehren nicht ein, obwohl sich aus der Begründung, allenfalls in Verbindung mit dem angefochtenen Entscheid, mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, was der Beschwerdeführer verlangt, so verstösst es gegen das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV; BGE 137 III 617 E. 6.2-6.3 S. 621 f. mit Hinweisen). Dieses Verbot weist einen engen Bezug zum Grundsatz von Treu und Glauben auf (Art. 5 Abs. 3 BV; zum Ganzen: Urteil 5A_164/2019 vom 20. Mai 2020 E. 4.3 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 146 III 203) [E. 2.4, Hervorhebungen durch mich].