(Auch) Rechtshilfe löst Verwertungsprobleme
Viele Strafrechtler haben immer schon geahnt, dass das Obergericht AG zu mild urteilt bzw. zu viele Freisprüche erlässt. Nun hat das Bundesgericht zwei Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen solche Freisprüche kassiert und dem Obergericht vorgeworfen, rechtmässig erstellte Videoaufnahmen als Beweismittel nicht verwertet zu haben (BGer 6B_345/2024 und BGer 6B_346/2024, beide vom 08.11.2024, beide in ausserordentlicher Fünferbesetzung, beide nicht zur Publikation in der AS vorgesehen).
In beiden wurden die Videoaufnahmen an sich rechtmässig erstellt und auf dem Weg der nationalen Rechtshilfe i.S.v. Art. 43 Abs. 1 StPO ediert. Damit wurden sie auch rechtmässig bearbeitet bzw. beschafft.
In beiden Fällen dienten die Aufzeichnungen nicht der Strafverfolgung, was aber keine Rolle (mehr) zu spielen scheint. Eine grund- und datenschutzrechtliche Zweckbindung gibt es nicht. In einem Fall hat das Bundesgericht den vorbestehenden Tatverdacht bejaht (E. 2.3.1 aus BGer 6B_345/2024), im anderen brauchte es ihn offenbar gar nicht.
Zur Frage der Rechtmässigkeit der Weitergabe von Daten:
Im Übrigen gestattet auch das Eidgenössische Datenschutzrecht die Bearbeitung und -beschaffung von Personendaten, soweit diese für die betroffene Person erkennbar waren (Art. 4 Abs. 4 des bis 31. August 2023 gültigen Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 [aDSG; SR 235.1]). Erkennbarkeit bedeutet, dass eine betroffene Person aus den konkreten Umständen heraus mit einer Datenbeschaffung und dem Zweck der Datenbearbeitung rechnen musste. Dies ist hier der Fall. Wer am Strassenverkehr teilnimmt, muss sowohl damit rechnen, dass er resp. sein Fahrzeug von Verkehrskameras bildlich erfasst werden, als auch damit, dass die Daten in einem Strafverfahren, jedenfalls einem wegen Widerhandlungen, die mit dem Verkehr bzw. der Strassenverkehrsordnung in Zusammenhang stehen, verwendet werden können.
Soweit die Vorinstanz als Begründung für die Widerrechtlichkeit der Datenweitergabe anführt, das kantonale Datenschutzgesetz diene nicht der Strafverfolgung und gestatte daher die Weitergabe der erfassten Daten nicht, ist ihr entgegenzuhalten, dass damit die Durchsetzung eidgenössischen Rechts unterlaufen würde. Die Beschwerdeführerin rügt in diesen Zusammenhang zu Recht eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) bzw. eine Verletzung von Bundesrecht durch die Vorinstanz. Die von dieser zitierte Rechtsprechung zum kantonalen Datenschutzrecht und zum Reglement Videoüberwachung der Strasseninfrastruktur ist insoweit nicht massgebend (E. 2.3.2 aus BGer 6B_346/2024, Hervorhebungen durch mich).
Hauptsache das Ergebnis stimmt.
Wenn man diesen Blog (und auch einige der “Begründungen” des OGs) liest, könnte man durchaus den Eindruck bekommen, das OG AG ist gewöhnlich zu streng nicht zu mild.
Mir scheint die vom Bundesgericht angeführte gesetzliche Grundlage (Art. 57c SVG und Art. 54a NSV) sehr dünn, um solche Videoaufnahmen zu machen, zumal dann, wenn Aufnahmen resultieren, die im Ergebnis technisch mehr ermöglichen als das, was für das in Art. 57c SVG geregelte Verkehrsmanagement notwendig ist. M.E. müsste in Art. 57c SVG konkret stehen, dass Videoaufnahmen zu den Massnahmen zum Verkehrsmanagement gehören, das steht dort aber nirgends. Zwar sieht Art. 54a NSV die bildliche Erfassung der Nationalstrasseninfrastruktur vor, nicht aber der Fahrzeuge, und eine Verordnungsbestimmung genügt m.E. letztlich nicht als gesetzliche Grundlage.
Dass solche Aufnahmen in den Schutzbereich der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) eingreifen, ist wohl nicht ernsthaft zu bestreiten, womit es einer ausdrücklichen, hinreichend bestimmten gesetzlichen Norm bedürfte (vgl. BGE 133 I 77, BGE 136 I 87, BGE 146 I 11).
Ich frage mich, warum das Bundesgericht dann noch Folgendes schreibt: «Wer am Strassenverkehr teilnimmt, muss sowohl damit rechnen, dass er resp. sein Fahrzeug von Verkehrskameras bildlich erfasst werden, als auch damit, dass die Daten in einem Strafverfahren […] verwendet werden können.» Scheinen hier leise Zweifel durch? Entweder es gibt eine genügende gesetzliche Grundlage, dann kann man sich diesen Satz sparen, oder es gibt sie nicht, dann hilft einem diese Erwägung auch nicht.
Was ohnehin bleibt, ist dein Fazit für Daten, welche eigentlich nicht der Strafverfolgung dienen: «Eine grund- und datenschutzrechtliche Zweckbindung gibt es nicht.»