Auch zweite Haftbeschwerde gutgeheissen
Gleich zweimal musste ein erstinstanzlich freigesprochener Beschuldigter das Bundesgericht bemühen. Im ersten Fall hatte die Vorinstanz (Obergericht des Kantons Aargau) den Gehörsanspruch verletzt (s. meinen früheren Beitrag).
Beim zweiten Mal hat das Bundesgericht nun aber die Haftentlassung angeordnet (BGer 1B_401/2015 vom 24.11.2015):
Vorliegend ist der Beschwerdeführer seit rund 1 ½ Jahren inhaftiert und hat damit einen nicht unerheblichen Teil der bei einem Schuldspruch zu erwartenden Strafe abgesessen. Dazu kommt, dass die Anklage gegen ihn vor Bezirksgericht keinen Bestand hatte, sodass er darauf hoffen kann, dies werde sich im Berufungsverfahren nicht ändern. Es ist damit davon auszugehen, dass die vormals ausgeprägte Fluchtgefahr (Urteil 1B_171/2015 E. 6.5) nach wie weiterbesteht, sich aber deutlich relativiert hat (E. 2.3).
Das Bundesgericht gibt dem Obergericht fünf Arbeitstage, um den Beschwerdeführer unter Auflagen zu entlassen.
Ist es nicht so, dass der Beschwerdeführer drei Mal an das Bundesgericht gelangt ist? Das erste Mal wegen Gehörsverletzung (Gutheissung der Beschwerde), das zweite Mal wegen der Fortsetzung der Haft (Abweisung der Beschwerde) und das dritte Mal wegen Abweisung der Haftentlassung (Gutheissung der Beschwerde)? Schon eigenartig, dass das Bundesgericht so wenig später plötzlich Ersatzmassnahmen als genügend erachtet, während es diese nicht lange vorher als nicht ausreichend erachtet hatte.
Ja, so ist es.
1) 1B_143/2015
2) 1B_171/2015
3) 1B_401/2015
Der Hinweis auf 6B_958/2015 ist offenbar falsch. Hinterlegt ist auch 1B_401/2015.
Anonymous’ Beobachtung von drei Beschwerden trifft zu, seine Frage nach dem Grund des Positionswechsels des Gerichts ist berechtigt:
Dessen Grund liegt in einem zwischenzeitlich eingetretenen Ereignis, nämlich der Zustellung der Begründung des erstinstanzlichen Urteils zwischen Beschwerdeurteil zwei und Beschwerdeeinreichung drei (SV A. 2 letzte Sätze sowie C. einziger Satz). Diese Urteilsbegründung, die ein Sachgericht nach seiner umfassenden Beweiswürdigung verfasste, ergänzte die summarische Beweiswürdigung, die vorher einzig verfügbar gewesen war und die für die Abweisung der zweiten Beschwerde noch die Grundlage gebildet hatte.
Das Sachgericht (Bezirksgericht [Baden], E2.2 1. Satz) hatte in seiner Urteilsbegründung mittlerweile erwogen, die Vorwürfe seien nicht erstellt, und den Angeklagten freigesprochen, was dem Gericht zusammen mit der im Vergleich zur Straferwartung relativ langen Untersuchungshaft, der reduzierten Fluchtgefahr und vertretbaren Ersatzmassnahmen für eine Gutheissung der dritten Beschwerde ausreichte (E2.4).
Im Urteil lese ich weiter, dass die beiden erfolgreichen Beschwerden durch den namentlich erwähnten gleichen Verteidiger jeweils innert vier Tagen nach dem Datum der Urteile eingereicht worden waren. Gratulation und weiter so!