Aufklärung „zu Beginn der ersten Einvernahme“
Nach Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO weisen Polizei oder Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme in einer ihr verständlichen Sprache darauf hin, dass gegen sie ein Vorverfahren eingeleitet worden ist und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden. Wie detailliert die Angaben zu den Straftaten sein müssen, lässt das Gesetz nicht. Der immer wieder anzutreffende Hinweis „Widerhandlung gegen das StGB“ reicht jedenfalls ebenso wenig wie die Nennung der konkreten Strafnorm.
Aus einem aktuellen Entscheid des Bundesgerichts geht aber hervor, dass die Umstände Einfluss auf die Aufklärungsdichte haben können (BGer 6B_926/2023 vom 13.01.2025, Fünferbesetzung)
Der Beschwerdeführer weist zwar zutreffend darauf hin, dass der „Deliktsort“ bzw. der Übernahmeort des Kokains darin nicht genannt wird (dies war erst in der Einvernahme von B. vom 30. Juli 2019 der Fall, …). Zudem ist der Tatvorhalt knapp gehalten. Er ist aber dennoch, insbesondere auch angesichts des Zeitpunkts der Einvernahme, die gleich am Tag nach der Verhaftung von B. stattfand, hinreichend. Nachdem jenem zu Beginn der Einvernahme vorgehalten wurde, gegen ihn sei ein Strafverfahren wegen Widerhandlungen gegen das BetmG (schwerer Fall) eingeleitet worden (…), wurde dieser Vorhalt im Verlauf der Befragung präzisiert. So wurde B. eröffnet, dass im Anschluss an seine Verhaftung anlässlich der an seinem Wohnort vorgenommenen Hausdurchsuchung drei Blöcke (mit einem Gewicht von rund 1032 Gramm, 238 Gramm und 509 Gramm) sichergestellt worden seien (…), dass er gemäss Erkenntnissen diverser Überwachungsmassnahmen der Empfänger der Lieferung vom Vortag sei und dass es sich bei den sichergestellten Blöcken wohl um Kokain sowie Ketamin handle (…). Folglich wusste B. , gegen welchen Vorwurf er sich zu verteidigen hatte. Dass der vorgehaltene Zeitraum bereits im Januar 2018 beginnt und B. auch weitere, nicht den Beschwerdeführer betreffende Lebenssachverhalte vorgehalten wurden (…), vermag daran nichts zu ändern. Die Vorinstanz geht deshalb zu Recht davon aus, dass im vorliegenden Verfahren die Einvernahme von B. vom 9. Februar 2019 als beschuldigte Person in dem gegen diesen geführten Verfahren verwertbar ist (E. 2.3.2).
Der Entscheid ist aber insbesondere für die Landesverweisung (Härtefallprüfung, Art. 66a Abs. 2 StGB) interessant, die das Bundesgericht kassiert.
Kommentar zur Landesverweisung und insb. der Härtefallprüfung nach Art. 66a Abs. 2 StGB:
Das Bundesgericht hat moniert, dass die Vorinstanz die obligatorische Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB) anordnete, ohne hinreichend zu prüfen, ob im konkreten Fall ein schwerer persönlicher Härtefall (Art. 66a Abs. 2 StGB) vorliegen könnte. Eine solch gründliche Prüfung wäre jedoch nötig gewesen, weil bei einer allfälligen Verletzung von Art. 8 EMRK (Achtung des Familien- und Privatlebens) keine rein schematische Anwendung der Landesverweisung erfolgen darf. Die Vorinstanz hätte sich ausführlicher mit den persönlichen und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers auseinandersetzen müssen.
Hervorzuheben sind dabei folgende zwei Aspekte:
1. Echte Noven – keine Prüfung durch das BGer
Der Bundesgerichtsentscheid legt unter E. 5.6 ausführlich dar, dass die vom Beschwerdeführer angeführten neuen Umstände – also insbesondere der erfolgreiche Lehrabschluss und die anschliessende Festanstellung und die Schwangerschaft bzw. die bevorstehende Elternschaft – sogenannte „echte Noven“ darstellen. Das bedeutet, dass diese Tatsachen erst nach dem vorinstanzlichen Urteil (jenes des Obergerichts) eingetreten sind bzw. bekannt geworden sind und daher im laufenden bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht (mehr) berücksichtigt werden können.
Denn gemäss Novenverbot (Art. 99 Abs. 1 BGG) dürfen neue Tatsachen und Beweismittel, die nach dem angefochtenen Urteil entstanden sind, vor Bundesgericht nur berücksichtigt werden, wenn der Entscheid der Vorinstanz selbst erst Anlass für diese Noven gibt – was hier nicht der Fall ist. Entsprechend konnten die genannten Entwicklungen (Berufsabschluss, Schwangerschaft) vor Bundesgericht nicht materiell geprüft werden. Allerdings können solche Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen bei einer Prüfung von Vollzugshindernissen (Art. 66d Abs. 1 lit. b StGB) später doch noch relevant werden. Wenn sich die Familien- oder Gesundheitslage wesentlich ändert und dies eine Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV (Privat- und Familienleben) zur Folge hätte, muss dies von den zuständigen Behörden bei der Vollzugsfrage berücksichtigt werden.
Allerdings erfolgt die Rückweisung an die Vorinstanz, wie sich nachfolgend zeigen wird, aus einem anderen Grund.
2. Unzureichende Auseinandersetzung mit dem Eheverhältnis insb. mit Bezug auf die Ehefrau
Zwar stellte die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer eine Schweizerin geheiratet hat und wirtschaftlich auch von ihr abhängig ist. Sie begründete aber nicht hinreichend, weshalb es der Ehefrau – die in der Schweiz fest verwurzelt sein soll und angeblich ein eigenes Unternehmen führt – zumutbar sein sollte, in die Türkei zu ziehen. Die Vorinstanz stützte sich bloss darauf, dass die Ehefrau „etwas Türkisch spreche“ und das Land bereits bereist habe. Dies allein, so das Bundesgericht, reiche nicht aus, um die Zumutbarkeit eines dauerhaften Aufenthalts in der Türkei zu begründen.
Wird das Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK berührt (wie hier durch die Ehe mit einer Schweizerin), muss die Vorinstanz eine umfassende Interessenabwägung anstellen: einerseits das öffentliche Interesse an der Landesverweisung (insbesondere die Schwere der Tat, Rückfallgefahr etc.) und andererseits das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz, inkl. der Frage, welche Belastungen ein Wegzug für die Ehefrau (und allenfalls das ungeborene Kind) hätte.
Diese Abwägung fiel nicht genügend klar aus dem angefochtenen Entscheid hervor, weshalb das Bundesgericht die Vorinstanz auffordert genauer zu prüfen, ob Art. 8 EMRK hier tatsächlich verletzt wird bzw. ob ein schwerer persönlicher Härtefall nach Art. 66a Abs. 2 StGB vorliegt.