Aussage gegen Aussage
Es gibt selbst in der Schweiz ab und zu Fälle, in denen bei Aussage gegen Aussage-Konstellationen “pro reo” entschieden wird. Nicht oder noch nicht dazu gehört einer, zu dem sich das Bundesgericht kürzlich äussern musste (BGer 6B_333/2014 vom 22.10.2014). Das Bundesgericht hat dabei jetzt aber erst einmal die Notbremse gezogen und die Verurteilung eines Mannes wegen Freiheitsberaubung, mehrfacher Drohung, Nötigung, mehrfacher versuchten Nötigung und Tätlichkeiten (Strafe: 18 Monate bedingt!) kassiert.
Das Bundesgericht qualifiziert die Beweiswürdigung der Vorinstanz als willkürlich. Bemerkenswert sind die folgenden Ausführungen, nach denen das Aussageverhalten von Belastungszeugen gesamthaft zu würdigen ist:
Die Beschwerdegegnerin 2 machte wiederholt widersprüchliche Angaben zu zentralen Fragen. Dadurch entstehen erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer gesamten Darstellung. Die Vorinstanz durfte nicht ohne Weiteres ihre Beweiswürdigung auf die Erklärungen der Beschwerdegegnerin 2 stützen, ohne dabei in Willkür zu verfallen. Dies selbst, wenn einzelne Aussagen oder Teile davon als widerspruchsfrei und glaubhaft erscheinen, wie etwa im Falle des Anklagevorwurfs der Gefährdung des Lebens und der Drohung (Anklageziffer 1/5a) [E. 1.3.2].
Der Beschwerdeführer wurde auch von seinen minderjährigen Kindern belastet. Das Bundesgericht schreibt der Vorinstanz ein Glaubhaftigkeitsgutachten über deren Aussagen vor, weil Suggestion “in Betracht zu ziehen” war:
Die Kinder waren zum Zeitpunkt ihrer Befragung 9 bzw. 10 Jahre alt. Die Vorinstanz erwägt in Übereinstimmung mit der Erstinstanz, dass eine Beeinflussung der Kinder durch die Mutter mit in Betracht zu ziehen ist (Urteil, S. 31). Von einem Glaubwürdigkeitsgutachten durfte die Vorinstanz unter diesen Umständen nicht absehen (E. 2.2).
Vielleicht täusche ich mich, aber mein Eindruck ist, dass das Bundesgericht im Beweisrecht eher wieder strenger wird.
Das Rechtsprinzip “Aussage gegen Aussage”, (daher nicht beurteilbar), hat auch kleine Dimensionen, die aber sehr Schicksalswirksam sein können. Beispiel: wenn Behörden unter Einbindung abhängieger Günstlinge zu Lasten von unbequemen Mitbürgern lügen. Es wäre notwendig, unserer Rechtskultur einen Sorgfaltsschub in der Richtung zu verleihen, dass dieses “Prinzip” nicht immer weiter zur billigen Waffe von Lügnern wird. Auch auf banaler Verwaltungsebene (Gemeine- u. Regierungsstatthalterstufe) sind die Opfer eine traurige Realität…
Christian Scheidegger, Spiez