Aussage gegen Aussage im Kanton Aargau
Zum zweiten Mal hebt das Bundesgericht ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau in derselben Sache auf und erkennt nun im Hauptpunkt gleich selbst auf Freispruch (BGer 6B_945/2015 vom 11.10.2016, vgl. dazu meinen Beitrag zum ersten Urteil des Obergerichts).
Entscheidend war diesmal, dass die Vorinstanz offenbar namentlich deshalb zu einem Schuldspruch gekommen war, weil der Beschwerdeführer widersprüchlich ausgesagt haben soll:
Die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 sind in Bezug auf das Kerngeschehen der behaupteten sexuellen Übergriffe (…) nicht glaubhaft. Indem die Vorinstanz auf die Darstellung der Beschwerdegegnerin 2 abstellt, verletzt sie den Grundsatz in dubio pro reo in einer mit dem Willkürverbot nicht vereinbaren Weise. Dass der Beschwerdeführer ein widersprüchliches Aussageverhalten gehabt haben soll, genügt – angesichts der nicht glaubhaften Äusserungen der Beschwerdegegnerin 2 – nicht, um das ihm vorgeworfene Verhalten als erwiesen anzusehen. Der Beschwerdeführer ist demnach von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung, der mehrfachen sexuellen Nötigung und der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung freizusprechen (E. 3.3).
Entscheidend für die festgestellte Unglaubhaftigkeit der Aussagen des Opfers waren dessen widersprüchlichen Angaben, welche das Bundesgericht auch als übertrieben qualifiziert. Hätte das Opfer zurückhaltender und konsistenter ausgesagt, wäre der Beschwerdeführer wohl chancenlos geblieben (es geht immerhin um 4.5 Jahre Freiheitsstrafe).
In anderen Punkten war das Aussageverhalten weniger auffällig, weshalb das Bundesgericht dann doch nicht vollumfänglich freigesprochen hat:
In Bezug auf die zur Diskussion stehenden Fälle häuslicher Gewalt sind die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 – anders als hinsichtlich der sexuellen Übergriffe – nicht von offensichtlichen Widersprüchen und Übertreibungen geprägt. Die Vorinstanz verfällt nicht in Willkür, wenn sie den angeklagten Sachverhalt in diesen Punkten als erwiesen erachtet. Die entsprechenden Rügen willkürlicher Sachverhaltsfeststellung sind demnach unbegründet (E. 4).
Der Fall zeigt, wie wichtig die Einvernahmen (und die Vorbereitung auf diese Einvernahmen) sind. Es geht – jedenfalls vor Bundesgericht aufgrund der Willkürkognition – nicht um die materielle Wahrheit, sondern um die Konsistenz des Aussageverhaltens.