Aussagepsychologie c. Unschuldsvermutung
Wie einfach Aussagepsychologie und wie schwach die Unschuldsvermutung ist, kann einem neuen Bundesgerichtsentscheid (BGer 6B_145/2012 vom 05.07.2012) entnommen werden. Ein Beschwerdeführer machte geltend, es verletze die Unschuldsvermutung in ihrer Funktion als Beweislastregel, wenn er bloss deshalb verurteilt werde, weil ihm seine Behauptungen nicht abgenommen werden. So interessant die Rüge ist – vor Bundesgericht ist sie wohl chancenlos (und weil das die Vorinstanz wissen ist sie auch da chancenlos).
Das Bundesgericht hält unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Kognitionsbeschränkungen die nachfolgend zitierten Schlussfolgerungen der Vorinstanz jedenfalls nicht für offensichtlich unhaltbar:
Die Vorinstanz schenkt den vom Beschwerdeführer vor erster Instanz und im vorinstanzlichen Verfahren geäusserten Sachverhaltsdarstellungen keinen Glauben (…), sondern stuft diese als Schutzbehauptungen ein. Der Beschwerdeführer habe in verschiedenen Detailversionen geschildert, ein ihm unbekannter betrunkener Zürcher habe ihm das Auto ohne Angabe von Name und Adresse zur Verwahrung anvertraut, um mit dem Zug nach Zürich zurück zu reisen. Neben zahlreichen weiteren Inkonsistenzen führten bereits die zeitlichen Angaben dieser Begegnung gemäss Vorinstanz zu einem unauflösbaren Widerspruch mit den von A. geäusserten Umständen der Fahrzeugentwendung. Eine Gesamtwürdigung der Aussagen des Beschwerdeführers lasse keinen vernünftigen Zweifel daran, dass dieser das Fahrzeug entwendet habe, bevor er es Y. zum Gebrauch überlassen habe (E. 1.2).
Könnte man hier nicht umgekehrt geltend machen, der Beschwerdeführer sei letztlich nicht für eine Tat verurteilt worden, sondern für eine schlechte Geschichte, welche man in der Justiz Schutzbehauptung nennt. Wer Schutzbehauptungen absondert oder gar lügt, muss ja schliesslich schuldig sein. Ist das aussagepsychologisch haltbar? Muss unsinniges Aussageverhalten wirklich ein Indiz für Strafbarkeit sein?
Auch bei diesem Urteil kann man aus dem BGE zu wenig entnehmen, um sich ein fundiertes eigenes Urteil zu bilden.
Die Widersprüche welche der BGE nennt sind nicht substantiiert und es wäre interessant zu wissen, ob der Entscheid vor europäischer Instanz stand hält.
Man muss immerhin zugestehen, dass der Beschwerdeführer mit dem Entscheid schon etwas anfangen kann, denn er kennt ja seine Beschwerdeschrift und an ihn richtet sich das Urteil. Es kommt aber vor, dass es selbst in Kenntnis der Beschwerdefrist schwierig ist. Appellatorische Kritik ist bspw. halt einfach appellatorische Kritik, weil das Bundesgericht sagt, es sei appellatorische Kritik. Wer dem Vorwurf ausweichen will, läuft Gefahr, dass er die Begründungspflicht verletzt. Eigentlich ist es ein unwürdiger Spiessrutenlauf, der nur beendet werden könnte, wenn der Zugang zum Bundesgericht drastisch beschränkt würde. Ich bin überzeugt, dass die Zahl der Rechtsmittel die Qualität der Rechtsprechung nicht beeinflusst.