Ausschreibung der Landesverweisung im SIS

Das OGer SO hat einen Verurteilten des Landes verwiesen und im Urteilsdispositiv die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) festgehalten. Vor erster Instanz war die Ausschreibung nie Thema.

Der Verutreilte beschwerte sich beim Bundesgericht. Dieses hatte sich in einem Grundsatzentscheid im Wesentlichen mit dem Eintreten, mit der Frage der Zuständigkeit für die Anordnung der Ausschreibung, dem Anklageprinzip, dem Verschlechterungsvebrot und dem Gehörsanspruch auseinanderzusetzen (BGE 6B_572/2019 vom 08.04.2020, Publikation in der AS vorgesehen).

Zur Zulässigkeit der Beschwerde (Eintreten):

Ob die Beschwerde an das Bundesgericht möglich ist, folgt im BGG teils anderen Regeln, je nachdem, ob es sich bei der Vorinstanz um ein Gericht des Bundes oder ein kantonales Gericht handelt. […]. Aus Art. 83 lit. c BGG kann daher nicht gefolgert werden, die vorliegende Beschwerde in Strafsachen gegen die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS sei ausgeschlossen, zumal es zu den Aufgaben des Bundesgerichts gehört, eine möglichst einheitliche Anwendung von Bundesrecht durch die kantonalen Behörden sicherzustellen. Die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht ist daher auch zulässig, soweit sie sich gegen die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS richtet (E. 1.3, Hervorhebungen durch mich).

Zur Anordnung der Ausschreibung (Zuständigkeit der Gerichte):

Die in Art. 20 Satz 2 N-SIS-Verordnung vorgesehene Zuständigkeit der Strafgerichte für die Anordnung der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS verstösst dennoch nicht gegen übergeordnetes Recht. Die Strafgerichte haben gemäss Art. 20 Satz 2 N-SIS-Verordnung zwar darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Ausschreibung der Landesverweisung im SIS erfüllt sind. Die eigentliche Ausschreibung hat gemäss Art. 21 N-SIS-Verordnung im Einklang mit Art. 16 Abs. 4 und 8 lit. c BPI jedoch durch die für den Vollzug der Landesverweisung zuständige Behörde zu erfolgen. Dass der Bundesrat in der Ausführungsverordnung befugt ist, die Strafgerichte für zuständig zu erklären, über die Voraussetzungen der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS zu befinden, entsprach auch der Auffassung des Bundesgerichts in seiner Vernehmlassung zur Anpassung der N-SIS-Verordnung an die strafrechtliche Landesverweisung. Das Bundesgericht hätte eine Zuständigkeit des SEM zwar vorgezogen, es schloss eine Zuständigkeit der Strafgerichte jedoch nicht aus (Erläuterungen BJ, a.a.O., S. 7) [E. 3.2.4, Hervorhebungen durch mich].

Zum Anklageprinzip und zur Pflicht, die Frage der Ausschreibung materiell zu behandeln:

Die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS unterliegt – wie auch die Landesverweisung selber – nicht dem Anklageprinzip (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des Anklageprinzips auf Sanktionen: HEIMGARTNER/NIGGLI, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 326 StPO). Spricht das Gericht eine Landesverweisung aus, muss es bei Drittstaatsangehörigen – unabhängig von einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft – daher zwingend auch darüber befinden, ob die Landesverweisung im SIS auszuschreiben ist. Es hat die Frage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS materiell zu beurteilen und im Dispositiv des Strafurteils zwingend zu erwähnen, ob die Ausschreibung vorzunehmen ist oder ob darauf verzichtet wird. Aus dem Dispositiv des Strafurteils muss hervorgehen, ob ein Strafgericht bereits über die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS materiell entschieden hat.  [E. 3.2.5], Hervorhebungen durch mich.

Zur reformatio in peius:

Das erstinstanzliche Urteil war angesichts der unbeantwortet gebliebenen Frage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS unvollständig. Das Verschlechterungsverbot gelangt zumindest in dieser Konstellation nicht zur Anwendung. Eine Ausdehnung des Verbots der reformatio in peius, das eine härtere Bestrafung im Berufungsverfahren verhindern soll, auf die rein vollzugs- bzw. polizeirechtliche Frage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS rechtfertigt sich nicht (E. 3.3.5).

Zum Gehörsanspruch drang der BEschwerdeführer dann aber durch, wenn es ihm auch – ausser diesem Grundsatzentscheid und im Kostenpunkt – absolut nichts bringen wird:

Vorliegend entschied allerdings erstmals das Berufungsgericht über die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS. Mit dem angefochtenen Entscheid ging für den Beschwerdeführer eine – wenn auch zulässige (vgl. oben E. 3.3) – Verschlechterung einher, da die Vorinstanz neu die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS anordnete. Die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung, wonach die betroffene Person auf eine im Rechtsmittelverfahren drohende Verschlechterung hinzuweisen ist (BGE 131 V 414 E. 1 S. 416 f.; 129 II 395 E. 4.4.3 S. 395 f.; 122 V 166), gelangt auch im Strafrecht zur Anwendung, wenn zum Beispiel eine reformatio in peius ausnahmsweise zulässig ist (Urteil 6B_630/2018 vom 8. März 2019 E. 3.3 und 3.4; …; für die Rechtslage vor Inkrafttreten der StPO zudem Urteil 6B_858/2009 vom 31. Mai 2010 E. 3). Die von der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelte Hinweispflicht ist direkter Ausfluss des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (BGE 131 V 414 E. 1 S. 416 f.; 129 II 395 E. 4.4.3 S. 395 f.; 122 V 166 E. 2a S. 167). Die Vorinstanz hätte den Beschwerdeführer – wie von diesem gerügt – vor ihrem Entscheid folglich explizit darauf hinweisen müssen, dass sie auch über die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS befinden wird. Da sie dies nicht tat, hat sie dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beschwerde ist bezüglich der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS daher infolge Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gutzuheissen und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 3.4.2). 

Vorliegend blieb die zwingend zu beantwortende Vollzugsfrage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS im erstinstanzlichen Verfahren unbehandelt. Das erstinstanzliche Urteil war angesichts der unbeantwortet gebliebenen Frage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS unvollständig. Das Verschlechterungsverbot gelangt zumindest in dieser Konstellation nicht zur Anwendung. Eine Ausdehnung des Verbots der reformatio in peius, das eine härtere Bestrafung im Berufungsverfahren verhindern soll, auf die rein vollzugs- bzw. polizeirechtliche Frage der Ausschreibung der Landesverweisung im SIS rechtfertigt sich nicht. Der Beschwerdeführer beruft sich daher zu Unrecht auf das in Art. 391 Abs. 2 StPO verankerte Verschlechterungsverbot.