Austauschbare Massnahmen
Das Bundesgericht schützt den Austausch einer Massnahme nach Art. 59 StGB in eine Verwahrung nach Art. 64 StGB (BGE 6B_82/2021 vom 01.04.2021, Publikation in der AS vorgesehen). Der Betroffene hatte während der Probezeit seiner bedingten Entlassung aus einer stationären Massnahme erneut delinquiert und wurde zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten verurteilt. Fraglich war u.a., ob die neuen Delikte isoliert betrachtet verwahrungsfähig sein müssen, was das Bundesgericht verneint:
Die im StGB vorgesehene Möglichkeit, Massnahmen auszutauschen, ist Ausdruck des Bedürfnisses nach Flexibilität und Durchlässigkeit im Massnahmenrecht. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangslagen bei der Anordnung der nachträglichen Verwahrung und der Massnahmeumwandlung ist es nach der Rechtsprechung zulässig, dass sowohl an das Verfahren als auch an die Voraussetzungen unterschiedliche Anforderungen gestellt werden (BGE 145 IV 167 E. 1.7). Wird die stationäre therapeutische Massnahme aufgrund von festgestellter Aussichtslosigkeit aufgehoben, kann der therapeutische Zweck nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen tritt der Sicherungsgedanke stärker in den Vordergrund. Bei der Umwandlung einer aussichtslosen therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung beruht der mit der Verwahrung einhergehende Freiheitsentzug auf denselben Gründen und verfolgt dasselbe Ziel wie bereits die mit dem ursprünglichen Strafurteil angeordnete Massnahme (BGE 145 IV 167 E. 1.8). Die Rechtsprechung anerkennt daher, dass bei der Umwandlung einer aussichtslosen therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung der im ursprünglichen Strafurteil beurteilten Delinquenz Rechnung zutragen ist, bei welcher es sich um die Anlasstaten im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB handeln kann (vgl. dazu etwa Urteil 6B_1035/2019 vom 22. Oktober 2019 E. 1.5). Dies ergibt sich ohne Weiteres auch aus Art. 62c Abs. 4 StGB, wonach eine auf Grund einer Straftat nach Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnete aussichtslose stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 StGB in eine Verwahrung umgewandelt werden kann, wenn ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht. Für die Umwandlung der stationären therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung genügt folglich eine ernsthafte Gefahr für weitere Straftaten nach Art. 64 Abs. 1 StGB. Dies gilt auch im Rahmen von Art. 62a Abs. 1 lit. b StGB. Nicht erforderlich ist entgegen der Kritik des Beschwerdeführers daher, dass die während der Probezeit neu begangenen Taten bei isolierter Betrachtung von einer die Verwahrung rechtfertigenden Schwere sind. Die Vorinstanz stellt vielmehr zutreffend auf die Voraussetzungen für die Umwandlung der früheren stationären therapeutischen Massnahme in eine Verwahrung ab (vgl. angefochtenes Urteil E. 6.2.1 S. 49 f.) [E. 3.3, Hervorhebungen durch mich].
Das erfolglos angefochtene Urteil war übrigens nur möglich, weil ein schriftlich erklärter Berufungsrückzug der Staatsanwaltschaft angeblich nicht rechtswirksam gewesen sein soll. Die entsprechenden Erwägungen des Bundesgerichts dazu finden sich in Erwägung 2, die zu lang ist, um sie hier nochmals wiederzugeben. Verteidigerinnen sollten die Erwägung 2 aber nicht lesen. Sie könnte den Eindruck bestätigen, dass die Parteien im Strafverfahren nicht immer rechtsgleich behandelt werden.
Aus E.2:
“Die erwähnte Verordnungsbestimmung stelle sicher, dass über die Einlegung von Rechtsmitteln nicht jeder Staatsanwalt nach eigenem Ermessen entscheiden könne, sondern dass eine gewisse Einheitlichkeit angestrebt werde. Dies diene zwar auch einem ökonomischen Einsatz der Ressourcen der Staatsanwaltschaft, aber primär der Verwirklichung der Rechtsgleichheit der Beschuldigten. Die Bestimmung diene vorrangig dem Schutz des Beschuldigten vor einer nicht rechtsgleichen Behandlung im Rechtsmittelverfahren. Folglich sei sie als Gültigkeitsvorschrift zu qualifizieren, so dass der eigenmächtige Rückzug der fallführenden Staatsanwältin als ungültig angesehen werden müsse (angefochtenes Urteil E. 2.5.2 S. 11 f.). ”
Auf diesen Schutz hätte der Beschuldigte in diesem Fall wohl gerne verzichtet.
@AG: die Erwägung ist absolut bemerkenswert. Ich bin nicht sicher, ob sich das Bundesgericht vorstellen kann, was in einem betroffenen Beschwerdeführer (und einem Strafverteidiger) vorgehen muss, wenn er das liest.
Rechtsgleichheit schaffen, heisst nun mal einige Entscheide zu verschärfen und andere abzumildern.
Und solange in einem Kanton Personen Staatsanwalt*in werden können, die glauben, weil sie krank seien, müssen sie ein Rechtsmittel zurückziehen, finde ich das nicht einmal so verkehrt, wenn man die unter Beistandschaft des Leitenden Staatsanwalt stellt.