Bagatellisierte Strafverteidigung
Wer amtliche Verteidigung beantragen will, läuft bisweilen Gefahr, sich selbst zu belasten und implizit zu behaupten, bei seiner Strafsache handle es sich nicht um eine Bagatelle. Weil die Justiz aber schon fast reflexartig die Gegenposition der Beschuldigten einzunehmen scheint und den Antrag wenn immer möglich abweist (doch Bagatelle!), ergibt sich daraus eine willkommene Strafobergrenze. Aus einem aktuellen Entscheid des Bundesgericht geht ein solches Beispiel hervor (BGer 1B_192/2018 vom 17.07.2018).
Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, mit seinem linken Fuss gegen die rechte Seite des Kopfes von B. getreten und diesen gestossen zu haben. Dadurch habe B. einen Kieferbruch, eine Gehirnerschütterung, Prellungen im Magen- und Rückenbereich, eine Schürfwunde am rechten Knie und einen Riss der linken Handgelenksehne erlitten.
Solche Fälle werden bisweilen als versuchte Tötung oder zumindest als versuchte schwere Körperverletzung angeklagt und mit Freiheitsstrafen von über einem Jahr bestraft. Die Staatsanwaltschaft Luzern erkannte per Strafbefehl auf eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Das Bundesgericht scheint auszuschliessen, dass der Sachrichter auch eine Strafe ausfällen könnte, die im Bereich der notwendigen Verteidigung liegt. Bemerkenswert ist sein Entscheid aber, weil es Strafverteidigung als Institut bagatellisiert:
Soweit ersichtlich wird daher im Strafverfahren anhand der Aussagen des Beschwerdeführers, des Privatklägers sowie möglicherweise einer Zeugin zu prüfen sein, ob er in Notwehr bzw. einem Notwehrexzess (Art. 16 StGB) handelte. Weitere Beweismassnahmen sind voraussichtlich nicht durchzuführen. Wie der Beschwerdeführer selber ausführt, hat er sich in zwei polizeilichen Einvernahmen zum Vorwurf geäussert und den Tathergang aus seiner Sicht dargelegt sowie Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben. Daher ist nicht ersichtlich, weshalb er nicht im Stande sein sollte, seine Wahrnehmung der Geschehnisse vor Gericht wiederzugeben und zu den Darstellungen des Privatklägers bzw. der allfälligen Zeugin Stellung zu nehmen sowie gegebenenfalls Beweisanträge zu stellen. Juristische Kenntnisse sind dazu nicht erforderlich. Dass der Beschwerdeführer gesundheitliche Probleme hat und bei ihm nach den eingereichten ärztlichen Unterlagen im Jahre 2013 eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern (E. 2.3).
Wer das liest, muss sich fragen, aus welchem Grund man im Anwaltsregister eingetragen sein muss, um eine Strafverteidigung führen zu dürfen (Art. 127 Abs. 5 StPO). Aber wie ich hier schon mehrfach betont habe: wenn es darum geht, Kosten zu sparen, ist der Justiz fast alles Recht.
Die Pflicht zur Eintragung in das Anwaltsregister für juristische Vertretung von Beschuldigten scheint mir ein stichhaltiges Argument gegen Laienverteidigung.
Da kommt mir wieder das Sprichwort in den Sinn: „A man who is his own lawyer has a fool for a client“
Die Folgefrage wäre dann: Ist nicht ein Anwaltszwang (auf allen Rechtsgebieten) einzuführen, was vieles einfacher machen würde, aber nicht der schweizerischen Rechtstradition entsprechen soll.
Im Militärstrafprozess haben wir den Anwaltszwang im Hauptverfahren bereits.
Die Justiz treibt manchmal seltsame Blüten.
Typisch, dass Luzern diesen Sachverhalt in einem Strafbefehl aburteilt!