Befangene Richter?
Sind Richter, die bereits eine Mittäterin verurteilt haben bei der Beurteilung eines anderen Mittäters vorbefasst (Art. 56 StPO)?
Daran kann m.E. nicht der geringste Zweifel bestehen. Die Justiz versucht aber, solchen Fragen auszuweichen und beantwortet sie materiell oft nur, wenn es anders nicht geht. Anders geht es aber fast immer, denn fast immer kann man den Betroffenen entgegenhalten, das Ausstandsgesuch nicht “ohne Verzug” gestellt zu haben (Art. 58 Abs. 1 StPO). Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil ein Richter ja auch von Gesetzes wegen in den Ausstand treten muss, wenn ein materieller Grund vorliegt. Dieses Argument weist das Bundesgericht in einem neuen Entscheid wie folgt zurück (BGer 1B_323/2018 vom 17.10.2018):
Als unbegründet erweist sich im Übrigen auch die Rüge des Beschwerdeführers, wonach ein offensichtlicher Anschein der Befangenheit vorgelegenen habe, weshalb die Beschwerdegegner ohnehin zwingend von sich aus in den Ausstand hätten treten müssen. Dies trifft nicht zu (E. 4, Hervorhebungen durch mich).
Im vorliegenden Fall ist übrigens nicht bekannt, warum die beiden Mittäter nicht im selben Verfahren beurteilt wurden und wie es zugelassen werden konnte, dass ursprünglich beide denselben Verteidiger hatten. Bei der Mehrfachverteidigung ist das Bundesgericht ja bekanntlich sehr streng und begründet dies auch mit der richterlichen Fürsorgepflicht. Aber wenn man das Ausstandsbegehren als verspätet qualifizieren kann, spielt das offenbar alles keine Rolle.
Um die Eingangsfrage zu beantworten: Aus meiner Sicht hat das Bundesgericht dies in Urteil 6B_1030/2015 vom 13.01.2016 auch schon bejaht: “Zudem war mit den rechtskräftigen Schuldsprüchen gegen die Beschul-digten Y. und Z. die Sache in Bezug auf die der Geldwäscherei zugrundeliegenden Vortaten zu Ungunsten des Beschwerdeführers faktisch vorgespurt. Die Vorinstanz führt im angefochtenen Entscheid aus, dass „aufgrund der Ergebnisse in den [zusammengeführten und angeklagten] Parallelverfahren (…) gegen Y. und (…) Z. in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht feststeht, dass Z. und Y. (…) in beiden Fällen einen Leasingbetrug begingen „. Eine freie und unabhängige Feststellung des angeklagten Sachverhalts war im Hinblick auf die Leasingbetrüge (faktisch) ausgeschlossen.”
Was nemo tenetur schreibt, mag auf die Sachverhaltskonstellation zutreffen, welche dem von ihr/ihm zitierten Urteil zugrunde liegt. Dass aber durchaus andere Möglichkeiten denkbar sind, in welchen sich der Richter nicht vorgängig auf die Schuld eines Mittäters festgelegt hat (weil er dies aufgrund des Anklagesachverhaltes nicht musste, durfte und/oder konnte), bestätigt ein Blick in die Rechtsprechung des Bundesgerichts.
Demnach ist es dann, wenn derselbe Richter befugt ist, mehrere Beschuldigte gemeinsam zu beurteilen, im Allgemeinen auch zulässig, dass er über einen bestimmten Beschuldigten in einem späteren Verfahren urteilt. Der Umstand, dass ein Richter in einem früheren Verfahren einen Beschuldigten bei gleichem Lebenssachverhalt verurteilt hat, genügt in aller Regel noch nicht, um ihn in einem späteren Verfahren wegen Gefahr der Voreingenommenheit abzulehnen. Ein Ablehnungsgrund besteht nur in engen Grenzen, z.B. dort, wo der Richter im früheren Verfahren den Beschuldigten A verurteilt hat in der Erwägung, es sei erwiesen, dass dieser mit dem im späteren Verfahren Beschuldigten B die Tat begangen habe, oder auch dort, wo er den Beschuldigten A mit der Begründung freigesprochen hat, nicht dieser, sondern der im späteren Prozess Beschuldigte B habe die Tat begangen (BGE 115 Ia 34 E. 2c/cc). Wäre ein Richter, der im früheren Verfahren mitgewirkt hat, im späteren Verfahren stets zum Ausstand verpflichtet, wären die Gerichte faktisch gezwungen, sämtliche Beschuldigten ausnahmslos (und insofern entgegen der Regelung von Art. 29-30 StPO) im selben Verfahren zu beurteilen. Dass gesetzeskonform getrennt geführte sachkonnexe Parallelverfahren grundsätzlich von den gleichen Richtern beurteilt werden können, liegt im Interesse der Prozessökonomie (vgl. Art. 5 Abs. 1 StPO) und stützt sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung aller getrennt beurteilten Beschuldigten (Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO; BGer 1B_150/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 4.3, 2C_912/2017 vom 18. Dezember 2017 E. 2.4, 1B_440/2016 vom 6. Juni 2017 E. 4.7 und 6.2).
Danke für den erhellenden Beitrag, dem ich im Einzelnen nicht widersprechen kann. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der später zu beurteilende Mitbeschuldigte nie den Eindruck haben wird (noch haben kann), dass sein Richter unbefangen sei. Wenn das aber so ist, dann ist das Ergebnis falsch und der Richter trotz Rechtsprechung des Bundesgerichts halt eben nicht der verfassungsmässige Richter.
Das sehe ich grundsätzlich anders. Wäre es so, dann dürften konsequenterweise zwei Mittäter auch nicht gleichzeitig durch den selben Richter verurteilt werden, was aber ein inakzeptabler Bruch mit dem Grundsatz der Verfahrenseinheit wäre. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob der selbe Richter zwei Mittäter nacheinander beurteilt oder ob er dies gleichzeitig tut. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Richters sind in beiden Fällen die gleichen. Ausserdem wird der Richter auch bei der Beurteilung der beiden Mittäter im selben Verfahren faktisch zeitlich versetzt über die beiden Mittäter entscheiden. Einzig die Urteile ergehen mit dem selben Datum, die Entscheidung des Richters bezüglich der einzelnen Täter kann nicht gleichzeitig erfolgen.
Ob das Bundesgericht selbst wohl auch in den Ausstand treten würde, wenn es bereits über die Beschwerde eines Mittäters entschieden hat und später die Beschwerde eines anderen Mittäters auf dem Tisch hat?