Begutachtet oder bloss delegiert?

Wer von einer Strafbehörde mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt wird, darf dieses nur mit Zustimmung der Auftraggeberin delegieren (vgl. dazu einen früheren Beitrag).

Der Gutachter darf nach einem neuen Grundsatzentscheid des Bundesgerichts aber (wie bisher) Hilfspersonen beiziehen, und zwar nun doch auch für die persönliche Untersuchung. Das soll insbesondere dann gelten, wenn das Gutachten zu einem klaren Ergebnis gelange und sich auf eine ergiebige Aktenlage stützen könne (BGE 6B_835/2017 vom 22.03.2018):

Vorliegend nahm der Gutachter an der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers nur 1/2 Stunde von 43/4 Stunden teil. Dennoch liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Gutachter seine Verantwortung nicht wahrgenommen hätte und den ihm persönlich erteilten Auftrag für die Erstellung des Gutachtens unzulässigerweise an Drittpersonen delegiert hätte. Der Beschwerdeführer weist eine lange Krankengeschichte auf und dem Gutachter stand daher umfangreiches Aktenmaterial zur Verfügung, wobei die Vorinstanz ohne Willkür davon ausgehen durfte, der Gutachter habe davon bzw. zumindest vom wesentlichen Inhalt dieser Akten Kenntnis genommen. Bei dieser Ausgangslage hat die persönliche Untersuchung – wie die Vorinstanz zutreffend darlegt – einen anderen Stellenwert, als wenn Aktenmaterial wie im Urteil 6B_265/2015 vom 3. Dezember 2015 praktisch vollständig fehlt. Das Gutachten gelangt bezüglich der relevanten Fragen der schweren psychischen Störung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 StGB, der Rückfallgefahr und der Behandlungsbedürftigkeit zudem zu einem klaren Ergebnis, während es im Urteil 6B_265/2015 vom 3. Dezember 2015 um eine problematische Abgrenzung zwischen einer blossen Persönlichkeitsakzentuierung und bereits als pathologisch zu bezeichnenden Persönlichkeitsauffälligkeiten bzw. einer Persönlichkeitsstörung ging (Urteil, a.a.O., E. 6.3.1), weshalb der persönlichen Exploration damals umso grössere Bedeutung zukam. Dass der Gutachter bei der Untersuchung des Beschwerdeführers lediglich 1/2 Stunde anwesend war, deutet vorliegend demnach noch nicht auf eine unzulässige Delegation hin, auch wenn sich die sehr kurze Anwesenheit des Gutachters selbst in Berücksichtigung der konkreten Umstände klar an der Grenze des noch Zulässigen bewegt (E. 4.6).

Wenn ich hier nichts übersehe, ist die Argumentation des Bundesgerichts unhaltbar. Oder dient die persönliche Untersuchung nur noch der Überprüfung der Diagnose, die auf den Akten basiert?