Behördlich abgesegneter Drogenhandel?

Das Bundesgericht veröffentlicht einen neuen Überwachungsentscheid (BGE 1B_175/2013 vom 13.11.2013, Publikation in der AS vorgesehen). Gegen den Beschwerdeführer wurde wegen Drogendelikten ermittelt. Während des Verfahrens gewannen die Untersuchungsbehörden Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung anderer Personen und liessen sie als Zufallsfunde im Verfahren gegen den Beschwerdeführer genehmigen. Sodann wurden mehrere Anschlüsse im Verfahren gegen den Beschwerdeführer selbst überwacht.

Während der Überwachung nahmen die Vorwürfe des Drogenhandels in quantitativer Hinsicht immer stärker zu. Trotz dringenden Drogenhandelsverdachts haben die Strafverfolger mit dem Zugriff zugewartet und weitere deliktsverdächtige Handlungen ermöglicht.

Der Beschwerdeführer machte zunächst geltend, die gegen ihn verfügten Überwachungsmassnahmen beruhten auf Zufallsfunden aus einer früheren, noch nicht gegen ihn persönlich angeordneten Überwachung. Mangels Einsicht in die Akten dieser früheren Überwachung werde es ihm verunmöglicht, deren Rechtmässigkeit zu prüfen. Das Bundesgericht bügelt das Argument nieder. indem es die Beschwerdelegitimation in Bezug auf die Überwachung anderer Personen verneint. Es anerkennt die Legitimation nur im Hinblick auf die Zufallsfunde:

Ein eigenes Rechtsschutzinteresse liegt hingegen vor, soweit er (sinngemäss) geltend macht, die gegen ihn angeordneten Überwachungen (von eigenen oder mitbenutzten Telefonanschlüssen) basierten auf einer unzulässigen Verwendung von ihn belastenden Zufallsfunden oder seien in anderer Weise bundesrechtswidrig (E. 4.1).

Es ist somit unerheblich, ob die Überwachungsmassnahmen, die zu den Zufallsfunden geführt haben, rechtmässig waren oder nicht. Massgebend ist allein, ob die Zufallsfunde nach Art. 278 StPO verwendet werden dürfen. Die nachfolgenden Erwägungen des Bundesgerichts zur Frage der Verwendung der Zufallsfunde verstehe ich nicht.

Der Beschwerdeführer rügt dann aber auch die Dauer der Überwachung. Diese sei fortgesetzt worden, obwohl längst die Voraussetzungen für eine Festnahme vorgelegen hätten. Stattdessen hätten die Vorwürfe des Drogenhandels in quantitativer Hinsicht zugenommen. Durch rechtzeitige Festnahme hätte “der Handel mit einer substanziellen Menge an Betäubungsmitteln verhindert werden können”.  Auch diese verteidigungstaktisch zumindest etwas schwierige Argumentation bodigt das Bundesgericht unter Hinweis auf allgemeine Grundsätze:

Ein Anspruch des Beschuldigten, unverzüglich an weiteren Delikten gehindert zu werden, ergibt sich insbesondere nicht aus dem strafprozessualen Verfolgungszwang (Art. 7 StPO). Ebenso wenig besteht ein Vorrang der polizeilichen Festnahme (Art. 217 StPO) gegenüber anderen gesetzlichen Zwangs- und Untersuchungsmassnahmen. Die Wahl der sachlich gebotenen Untersuchungsführung liegt im pflichtgemässen Ermessen der Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 16 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Art. 139 Abs. 1 und Art. 308 Abs. 1 StPO). Gesetzmässige Untersuchungsmassnahmen dürfen (unter den Bedingungen von Art. 275 Abs. 1 StPO) grundsätzlich so lange dauern, wie es für die sorgfältige Sachverhaltsabklärung sachlich notwendig erscheint. Bei anhaltender Delinquenz (bzw. Dauerdelikten) haben die Untersuchungs- und Genehmigungsbehörden allerdings auch dem Rechtsgüterschutz und dem Grundsatz der gleichmässigen Durchsetzung des Strafrechts Rechnung zu tragen (vgl. Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO) [E. 4.4.2].

Auf den Fall bezogen erwägt das Bundesgericht sodann:

Im vorliegenden Fall einer komplexen Untersuchung gegen verschiedenen Beteiligte in einem schwer wiegenden Fall von Drogendelinquenz sind keine Anzeichen erkennbar (und werden auch vom Beschwerdeführer nicht dargelegt), dass die kantonalen Strafbehörden die geheimen Überwachungen und deren Auswertung unnötig und übermässig lange hinausgezögert hätten, um Delinquenzvorwürfe “künstlich” auszuweiten oder die Verteidigungsrechte zu schmälern. Unbestrittenermassen wurden die Massnahmen gegen den Beschwerdeführer am 26. Januar, 17. Februar, 19. April bzw. 23. Mai 2011 bis zum 25. März bzw. 25. Juni 2011 verfügt und ihm am 21. Dezember 2012 (noch vor Abschluss des Vorverfahrens) mitgeteilt (vgl. Art. 279 Abs. 1 StPO) [E. 4.4.3].

Dem kann ich an sich ja ohne weiteres zustimmen. Das Vorgehen der Strafverfolger zeigt andererseits aber eben auch, dass der Drogenhandel wohl doch nicht als so gefährlich und schädlich betrachtet wird. Einen mutmasslichen Räuber würde man jedenfalls kaum einfach weitermachen lassen, um ihm noch ein paar zusätzliche Straftaten anhängen zu können.