Berufung nach § 414 StPO/ZH
In einem heute online gestellten Entscheid (BGE 1P.850/2005 vom 08.05.2006) hat das Bundesgericht eine heiss umstrittene Frage des Strafverfahrensrechts im Kanton Zürich geklärt. § 414 StPO/ZH lautet:
1 Die Berufung ist binnen zehn Tagen ab Eröffnung des Dispositivs beim Gericht erster Instanz anzumelden.
2 Sie kann schriftlich oder bei Eröffnung des Entscheides mündlich zu Protokoll erklärt werden.
3 Will der Berufungskläger die Berufung einschränken, so muss er angeben, welche Teile des Entscheids er anfechten will.
4 Der Berufungskläger hat binnen 20 Tagen nach Zustellung des begründeten Entscheids schriftlich seine Beanstandungen zu benennen.
Die Rechtsmittelbelehrungen dazu lauten wie folgt:
Gegen dieses Urteil kann innert 10 Tagen ab Zustellung des Urteilsdispositivs beim Bezirksgericht Uster schriftlich Berufung angemeldet werden. Die Berufung kann auf einzelne Urteilspunkte beschränkt werden. Der Berufungskläger hat nach Zustellung des begründeten Entscheids innert 20 Tagen dem Bezirksgericht Uster schriftlich seine Beanstandungen mitzuteilen.
Strittig war die Praxis des Obergerichts, auf unbegründete Berufungen (Fehlen von Beanstandungen im Sinne von Abs. 4 der zitierten Norm) nicht einzutreten. Solange die Rechtsmittelbelehrungen nicht geändert werden, erweist sich diese Praxis nun als Verstoss gegen Treu und Glauben und damit als verfassungswidrig. In Erwägung 6.4 kommt das Bundesgericht zu folgendem Schluss:
Um so mehr müssen die Urteilsempfänger in der Rechtsmittelbelehrung über das Gültigkeitserfordernis hinreichend aufgeklärt werden. Dies ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Folglich verstösst es gegen den verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben, wenn das Obergericht ohne weiteres auf die unbegründete Berufung der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist. Das Obergericht war vielmehr verpflichtet, der Beschwerdeführerin, unter Androhung dieser Säumnisfolge, Nachfrist zur Benennung der Beanstandungen anzusetzen. Dabei hatte es knapp zu erläutern, was unter einer gültigen Beanstandung zu verstehen ist. Den entsprechenden Anforderungen müssen die Rechtsmittelbelehrungen in den Entscheiden der Zürcher Gerichte, die der Berufung unterliegen, künftig Rechnung tragen.