Beschlagnahme von eMail beim Provider
Das Bundesverfassungsgericht hat in BVerfG 2 BvR 902/06 vom 29. Juni 2006 (HRRS) offen gelassen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Strafverfolgungsbehörden eMails eines Beschuldigten beim Provider beschlagnahmen können. Eine Besprechung dieses Beschlusses von Schlegel ist nun ebenfalls in HRRS erschienen. Seine Zusammenfassung lautet wie folgt:
Zusammenfassend lässt sich damit konstatieren, dass die in den E-Mail-Systemen der Provider lagernden E-Mails unabhängig von ihrem Abrufstatus dem Fernmeldegeheimnis i.S.d. Art. 10 GG unterliegen und damit eine Abfrage im Rahmen eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens sich derzeit nur im Rahmen der §§ 100a f. StPO vollziehen kann. Die §§ 94 ff., 102 ff. StPO sind nicht anwendbar. Hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, die Telekommunikationsüberwachung nach der StPO einem schlüssigen Gesamtkonzept zuzuführen, das auch den Zugriff auf E-Mails überzeugend und verhältnismäßig regelt, damit die nun wiederholt wahrgenommenen Unstimmigkeiten bei der Anwendung der Eingriffsvorschriften der StPO weder die strafrechtlichen Ermittlungen unmöglich machen, noch die verfassungsrechtlichen Anforderungen verfehlen.
Auf die Schweiz übertragen dürfte das heissen: Die “Beschlagnahme” von eMail beim Provider erfolgt nach den Regeln des BÜPF und nicht nach den Regeln der strafprozessualen Durchsuchung und Beschlagnahme. Die Lehre (es gibt eigentlich nur Hansjakob, seines Zeichens Strafverfolger) ist da freilich anderer Auffassung. Danach soll BÜPF nur zur Anwendung kommen, wenn die Beschlagnahme ohne Wissen des Beschuldigten erfolgt.
Vielen Dank für diesen Werrtvollen Hinweis.
M.E. ist die Auffassung von Hansjakob richtig (ich würde sogar weiter gehen und sagen, die Kenntnis des Beschuldigten ist nicht nötig): Genauso wie bei Dritten lagernde Telefonrechungen (im Unterschied zur rückwirkenden Teilnehmeridentifikation) ausserhalb des BüPF beschlagnahmt werden können, handelt es ich bei der Beschlagnahme eines IT-Servers um eine normale Sachbeschlagnahme. Allfällige, im Übrigen mehr oder weniger zufällig auf den Speichermedien noch anzutreffende Emails sind dabei eine physische Eigenschaft der sichergestellten Sache, die nur mittelbar mit der Rechtsstellung des Beschuldigten als Fernmeldebeteiligten etwas zu tun hat. Das BüPF regelt nur den direkten Eingriff in die fernmelderechtlich geschützte Privatsphäre, also die eigentliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs selbst oder äquivalente Massnahmen (z.B. Teilnehmeridentifikation).
Die Faustregel dürfte sein, nur wo ein Fernmeldegeheimnis besteht, muss auch über das BüPF vorgegangen werden. Genausowenig wie aber eine Zeugenbefragung eines zufällig bei einem Telefongespräch anwesenden unter das BüPF fällt (selbst wenn die so gewonnenen Erkenntnisse prozessual wegen Art. 307 StGB möglicherweise praktisch gleichwertig mit einer Überwachung sind), fallen IT-Server, Gesprächsnotizen oder gar Abschriften, Email-Ausdrucke oder eigene (legale) Mitschnitte darunter.
Diese Auffassung wurde im übrigen auch in einem mir bekannten älteren Fall von der AK des Kt. Zürich vertreten, die auf einen Antrag auf Bewilligung der Beschlagnahme von IT-Servern bei Dritten nicht eingetreten ist.
Das BüPF ist ja auch kein “Privatsphäre-Gesetz”, sondern regelt nur ganz bestimmte Eingriffsformen in ganz bestimmte Rechtspositionen. Dass damit zusammenhängende Rechtsgüter, gerade in einem Strafverfahren, auch auf andere Weise tangiert werden können, führt m.E. nicht zu einer generellen Unterstellung dieser Eingriffe unter das BüPF.
All das soll nicht heissen, dass ich nicht etwas mehr richterliche Kontrolle im Zwangsmassnahmenrecht an sich Begrüssen würde. Eine ausufernde Auslegung der Anwendbarkeit des BüPF ist dazu aber m.E. der falsche Weg.